Bundestagsabgeordnete diskutieren „Schwedisches Modell“

„Prostitution wohin?“

Die aktuelle Bundesregierung scheitert auf so vielen Wegen. Politik macht sie eigentlich seit Jahren nur per Lippenbekenntnis, fĂĽr groĂźe Lobby- und Wirtschaftsverbände oder einfach nur in Form von Egotrips einzelner Minister. Das der Ruf der Ressorts Verkehr, Wissenschaft, Bildung oder Landwirtschaft nicht gerade gut ist, steht wohl auĂźer Frage. Viele Entscheidungen, Kampagnen oder Gesetze(sentwĂĽrfe) sind einfach nur riesiger Murks. Nehmen wir mal nur das aktuelle „Klimaschutzpaket“. Oder das seit Beginn zum Scheitern verurteilte Maut-Desaster.

In unserem Fall ist es das 2017 verabschiedete „Prostituiertenschutzgesetz“. Entgegen etlicher Expertenmeinungen wurde es dennoch verabschiedet. Zwei Jahre später ist die Wirkung ernĂĽchternd. Weder wurde die angeblich exorbitant auftretende Zwangsprostitution eingedämmt, noch wurden bessere Arbeitsverhältnisse fĂĽr Sexarbeiter_innen geschaffen. Ganz im Gegenteil. Noch immer tappen zahlreiche Proatituierte und Betreiber im Dunkeln. Es gibt keine bundesweit einheitlichen Vorgehensweisen hinsichtlich Anmeldebescheinigung oder Prostitutionsstätten-Erlaubnis. Dazu ist diversen Medien zufolge nur ein Bruchteil der Sexworker offiziell gemeldet – auf jedenfall sind es nicht 200.000 aufwärts.

Und anstatt sich kleinlaut einzugestehen, dass das Gesetz zu einem finanziellen und sozialen Desaster fĂĽr Bund und Länder geworden ist, nein eigentlich von beginn an war, erstarkt die Union wieder neu in einem unsäglichen Abolitionismus. Und noch schlimmer: Teile der Sozialdemokraten schwenken um 180 Grad in Ihrer Meinung und fordern nun auch ein „Sexkaufverboot“.

So äuĂźerte sich der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kĂĽrzlich wie folgt: „Prostitution trägt in Deutschland ZĂĽge einer modernen Form von Versklavung […] Wir können nicht einerseits Frauenrechte einfordern und andererseits Zwangsprostitution per Gesetz legalisieren. Das geschieht aktuell aber.“ Dass sich Herr Lauterbach tatsächlich einmal auf das Niveau von Populisten begeben wird, wer hätte das geahnt. Soweit ist der Sturz der SPD schon?

Worauf beruhen Lauterbachs Erkenntnisse? Welche seriöse Studie stützt diese Behauptung?

„Prostitution wohin?“

Leider ist der Bundestagsabgeordnete keineswegs allein unter den Sozialdemokraten mit seiner Forderung nach einem Verbot. Initiiert von Frank Heinrich (CDU) und Leni Breymeier (SPD) wurde der sogenannte Arbeitskreis „Prostitution – wohin?“. Start dieser angeblich ergebnisoffenen interfraktionellen Sitzung von Politikerinnen aus den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD war der gestrige Dienstag, der 15. Oktober. Schon allein die Tatsache, dass es angeblich nötig sei, einen Arbeitskreis zur Eruierung der Gegebenheiten rund um die Prostitution in Deutschland zu grĂĽnden, spricht nicht fĂĽr einen offenen Dialog der Beteiligten. Denn Erkenntnisse zur Vielschichtigkeit des Milieus, nein besser der Millieus gibt es mehr als genug. Genug um sagen zu können: das ProstSchG ist Murks und ein Bundesgesetz frei nach dem schwedischen Vorbild wäre ein Gau. Wass will man also bei SPD und CDU? Dem Anschein nach wohl Letzteres. Siehe eben auch das Lauterbach-Statement. Und was soll eigentlich der Arbeitstitel „Prostitution – Wohin“? klingt irgendwie nach Abschiebung…

Zu Recht haben sich gestern die BĂĽndnisse „Sexarbeit ist Arbeit“ und „What the fuck, das Netzwerk „Care Revolution“, Interessenvertretungen wie Hydra uvm. zu einer Protestaktion vor dem Berliner Paul-Löbe-Haus eingefunden. 

Und zum GlĂĽck gibt es innerhalb der SPD noch keinen gemeinsamen Konsenz in Richtung Prostituiertenhass. (siehe dazu auch den aktuellen Artikel der TAZ) Viele Abgeordnete wissen noch, dass Sexarbeiter_innen Menschenrechte haben. Dass um Menschenhandel und Ausbeutung zu begegnen andere Lösungen notwendig sind. Und dass Sexarbeit eben nicht gleich Sexarbeit ist.

Beispiel Escort: siehe dazu das gestern veröffentlichte Interview von VICE Autorin Y. Alfering mit Aya Velázquez

Beispiel Sexualassistenz und Sexualbegleitung (Beitrag vom 15.10.): Die Kooperation Behinderter im Internet e.V. (kobinet) hat dazu mit dem Berliner Rechtsanwalt Dr. Martin Theben gesprochen. Laut Theben beschneide ein Verbot von Sex gegen Entgelt „in verfassungswidriger Weise Menschenrechte.“

rde

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