NDR-Talk mit Margot Käßmann und Arne-Torben Voigts zeigt die hässliche Seite des Abolitionismus
Wer sich gerne auf die Seite von Wissenschaftsleugnern oder stumpf absolutistischen Meinungsmachern schlägt, dem seien die Namen Margot Käßmann, Arne-Torben Voigts und Kristine Tauch empfohlen. Absurde Menschenbilder und Faktenquatsch par exellence liefern die drei in der aktuellen Folge des Kamera-begleiteten NDR-Podcasts „Mensch Margot“. Der Titel „Prostitution: Kein Job wie jeder andere“.
… Also eine weitere Sendung, die sich in den absolut nicht bunten Reigen der von Voreingenommenheit triefenden Talkformate einreiht. Eine Sendung, in der alle nur erdenklichen, obgleich schon vielfach widerlegten Ressentiments und Falschaussagen stakkatoartig abgefeuert werden. Eine Sendung, in der sich in jedem Punkt einige Moderatoren und Gäste komplett unreflektiert daherschwadronieren, pseudoemanzipiert argumentieren und durchweg völlig unwidersprochen ihre moralische Deutungshoheit stammtischartig herausposaunen, dass es an Herablassung kaum zu überbieten ist. Eine Sendung, die es im öffentlich rechtlichen Rundfunk so gar nicht geben dürfte.
Im Vordergrund zum Einen Gesprächspartner Arne-Torben Voigts. Welche Rolle er genau einnimmt, wird nie so richtig klar. Eigentlich hat es mehr den Anschein, dass er nur Beiwerk, nur Strohpuppe und Stichwortgeber von Margot Käsmann ist. Denn Voigts, der, wie er sagt, vor der Sendungsrecherche selbst nur sehr wenig Vorwissen zum Thema Prostitution hatte, besticht von Beginn an durch völlige Ahnungslosigkeit. Zwar versucht er diese stets mit bedeutungsschwangerer Mimik zu kaschieren und die Sensibilität der Thematik mit Sätzen wie „Heute geht es um ein sehr gewichtiges Thema, großes Thema, ein schwieriges Thema.“ hervorzuheben. Er sagt aber auch mehrfach, Prostitution sei ein Problem. Er sagt es immer ziehmlich bedeutungsschwanger. Ohne dabei zu bemerken wie er damit pauschalisierend die Victimisierung einer legalen Tätigkeit vorantreibt. Eine Begründung für seine These liefert er nicht selbst. Dies überlässt er Käßmann und Tauch. Auch weil er schon zu Beginn des Talks hervorhebt, dass der Gesprächsinhalt „ein Herzensanliegen von Margot Käsmann“ sei. Also Wunsch der Podcast-Namensgeberin.
Was Voigts extrem gut kann, ist dem Zuhörer auf den Sack zu gehen. Wie kann man so unprofessionell, so charakterlos sein, frag ich mich. Er moderiert nicht, er hinterfragt nicht, er bringt keine Hintergründe, keine Fakten oder Zahlen ins Gespräch. Er ist lediglich kosmetisches Beiwerk. Das Einzige was er inhaltlich beisteuert, ist, mittels Stichworten und Überleitungen zwischen dem PLURV-Sprech von Käßmann und der zugeschalteten Gästin Kristine Tauch zu switchen.
Wer das Format nicht nur hört, sondern auch über die Mediathek oder Youtube sieht, der bekommt noch eine zweite Auf-den-Sack-geh-Fähigkeit Voigts zu spüren. Und zwar seinen unentwegt zutiefts nachdenklichen Gesichtsausdruck, mal verwundert, mal verstehend. Dagegen ist das Versteh-Gesicht von Markus Lanz komplett harmlos. Auf die Dauer ist Voigts inflationär gebrauchte Denkerstirnfalte derart nervtötend und Agressionen schürend. Denn sie zeigt nicht etwa Anteilnahme, sondern sie spiegelt die völlige Unwissenheit eines Arne-Torben Voigts. Bei absoluter Hörigkeit seiner beiden Gästinnen gegenüber.
Die Hauptfigur des Formats ist Namensgeberin Margot Käßmann. Die Autorin und Theologin gibt sich als Philanthropin, Orientierungsgeberin und Frauenrechtlerin. Käßmann weiß, versteht und deutet. Ihr hört man zu und glaubt ihr. Immerhin ist ja genau das ihr Geschäft: der Glaube. Das aber Glauben nicht gleich Wissen ist, davon hat scheinbar weder der NDR noch die zuständige Redaktion je etwas gehört. Und so lässt man Käßmann schwadronieren und moralisieren. Sie behauptet und tut klug. Die Krux ist, dass auch Käsmann trotz stetiger Untermauerung ihrer „Fachkenntnis“ absolut keine Ahnung von der Materie hat; vielleicht auch nicht haben will. Das braucht sie ja auch nicht, sie glaubt ja. Und als eine der führenden Theologinnen im Land reicht das. Außerdem ist die Evangelische Kirche Co-Produzentin des Podcasts. Damit ist einiges gesagt.
Um der aktuellen Folge noch etwas mehr Know How einzuverleiben, wurde noch eine Fachfrau eingeladen, eine die sich seit Jahren mit der Thematik Prostitution auseinandersetzt: Kristine Tauch…. Ähhh, Kristine wer? Noch nie gehört! Was hat sie studiert? Wo promoviert? Welche Veröffentlichungen kann sie Vorweisen? Arbeitet sie in einem der Millieus? Ist sie Lobbyistin? Mitarbeiterin einer Beratungsstelle? Vorstand eines Prostituierten verbandes? Politikerin? Nööö, nichts von alledem.
Tauch ist unbekannte Filmemacherin, hat mal einen 25-minütigen Film zur Prostitution in Wiesbaden prodiziert (dazu gleich mehr) und versucht aktuell eine weitere Dokumentation per Crowdfunding zu finanzieren (siehe hier). Mir schwant Übles. Darf sie vielleicht ein öffentlich rechtlich finanzierten Podcast dazu benutzen, um mittels billiger Emotionalisierung einer hoch komplexen Thematik Geldgeber für ihr eigenes Filmprojekt zu gewinnen? Nicht gleich Mutmaßen! Vielleicht hat Frau Tauch ja doch Ahnung.
Aber kurz gesagt: Nein, hat sie nicht.
Ein Blick auf ihren Film „FASSADEN – Prostitution in Wiesbaden„, dessen Titel unser top vorbereiteter Vorzeigepodcaster Arne-Torben Voigts übrigens nicht einmal schafft, richtig widerzugeben. Tauchs 25-minütiges Machwerk von 2021 ist eigentlich nur was für starke Nerven oder für nicht vorinformierte Zusachauer:innen. Warum? Weil es extrem voreingenommen, tendenziös, emotionalisierend (Tonalität, Musik- und Zitatauswahl…) und eindimensional ist. Der Film bedient in einer absolutistischen, mehr noch, exzesshaften Weise althergebrachte Stereotype. Hier wird Framing in Reinform betrieben. Prostituierte sind ad hoc Opfer. Opfer von perversen und machtgierigen Männern. Opfer von Gewalt und Ausbeutung. Selbst wehrlos, unmündig und fast immer getäuschte Ausländerinnen. Utermauert wird das Framing durch die den ganzen Film über permanent eingespielten, vorgelesenen Freierforen-Beiträge. Die natürlich sorgfältig nach möglichst menschenunwürdigem Sprech ausgewählt sind. Die Auswahl ist gewollt. Schließlich müssen die Verlautbarungen ins Bild passen. Bitter auch: beinahe alle „Erkenntnisse“ des Films basieren auf das im Zwiegespräch ausgetauschte „Fachwissen“ zweier sich selbst überschätzender und bekannter Hardliner-Abolotionisten. Namentlich Dr. phil. Alfons Heinz-Trossen und Manuela Schon. Letztere wird im Abspann sogar als am Filmkonzept Mitwirkende genannt. Interessant. Á propos Abspann. Dort aufgelist werden sage und schreibe drei! Quellen in Bezug auf erbrachte Zahlen und Fakten: eine vom „Bündnis Stop Sexkauf!“ betriebene Webseite, das Statistische Bundesamt und das Gesundheitsamt Wiesbaden. Also drei (3) „externe“ Quellen. Für einen 26-minütigen Film. Krass, wie schlecht. Da hat ja jeder Schulaufsatz mehr. Facepalm
Zurück zu „Mensch Margot“. Hier ist Kristine Tauch schließlich ebenso häufig Rednerin wie Käßmann. Was steuert sie bei zur Expertise bei? Genau soviel, wie ihr Alfons Heinz-Trossen und Manuela Schon ins Hirn geschwafelt haben. Abolitionistische Meinungsmache, falsche Zahlen, eindimensionale Menschenbilder und ein romantisiert pittoreskes Sexualitätsverständnis.
40 Minute lang bekommt man als Zuhörer/Zuschauer nichts anderes zu hören als emotionalisierendes, bemittleidendes und verurteilendes Stammtischgerede. Ein zutiefts selbstgerechtes Gerede mit dem Duktus einer absoluten Wahrheitsvermittlung. Zu keiner Zeit wird es aber irgendwelchen modernen journalistischen Ansprüchen gerecht.
Es werden an keiner Stelle Ekenntnisse aus repräsentativen Studien oder Erhebungen geliefert. Nur ein einziges Mal wird eine offizielle Zahl ins Spiel gebracht: die zu den aktuell von den Gesundheitsämtern geschätzen Prostituierten (geschätzt 40.000 – 60.000). Weil das aber nicht ins Bild passt, wird die Schätzung nur einen Satz später mit Quatschzahlen konterkariert.
Weder werden Jahresberichte von Beratungsstellen beachtet noch offizielle Paper von den diversen Runden Tischen „Prostitution“ der Länder. Nationale oder internationale Prostituiertenverbände werden mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ebenso wenig Aufrufe und Statements zur Entkriminalisierung der Sexarbeit, wie es sie in den vergangenen Jahren in großer Anzahl gab – von Gesundheitsämtern, NGOs oder Frauenorganisationen.
Der gesamte Komplex der gültigen Bundes- und Landesgesetze, Verordnungen, Sperrgebietsregelungen, Besteuerung, Krankenversicherungen… wird konsequent außen vor gelassen. Nicht ein Wort bspw. vom ProstSchG. Die fehlende finanzielle Unterstützung der Prostitutierten während der letzten 2 Pandemiejahre wir nicht thematisiert.
Es werden keine Lösungsvorschläge für tatsächlich vorhandene (arbeitsrechtliche, gesellschaftliche, gesundheitliche) Misstände in Beschaffungs- oder Straßenprostitution ins Gespräch gebracht. Einzig ein angeblich einheitliches „Nordisches Modell“ kommt zur Sprache und wird als einzig richtiger Weg postuliert. Aber auch hier ohne eine eingehende oder gar kritische Betrachtung existierender Strukturen. Man unterlässt es zwischen den verschiedenen nationalen Gesetzen zu differenzieren oder auf deren signifikante Schwächen hinzuweisen. Kein Wort, dass der Schwedische Weg und dessen Nachahmer alles andere ist als der Weg zur „Befreiung“ der Sexarbeiterinnen ist. Im Gegenteil, Käßmann und Tauch erzählen hier sogar Märchen von einer „massiven Unterstützung der Prostituierten“.
„Expertin“ Kristine Tauch fordert an einer Stelle der Gesprächsrunde notwendige Ausstiegshilfen, sie fordert die Entkriminalisierung der Sexarbeiterinnen (die sie so übrigens nicht bezeichnen will) und die Freierbestrafung. Heißt, Tauch wirft lediglich die drei Schlagworte in die Runde. Weiter kommt da aber nichts mehr. Sie ignoriert die seit Jahrzehnten existenten Bemühungen zur Entkriminalisierung seitens unterschiedlichster Verbände, Bündnisse, NGOs etc. Warum ist eigentlich klar. Weil deren Bemühungen stets von rückwärtsgewandten, verstockten Abolitionisten, von schlecht gemachten Bundesgesetzen und von ignoranten Talkrunden zunichte gemacht werden. Auch Ausstiegshilfen werden seit jeher bundesweit angeboten. Tauch hätte mal ansprechen sollen, dass es Bund und Länder nur nicht schaffen geschweige denn wollen, diese in nötigem Ausmaß zu finanzieren oder gar auszuweiten. Kristine Tauch hätte mal ihre eigenen Zahlen in die Überlegung werfen sollen. Wie würde man für ihre postulierten 200.000 bis 400.000 Prostituierten adäquate Ausstiegshilfen inkl. deren Umsetzung gewährleisten können… Da brauchen wir gar nicht rechnen und weiter überlegen, wie absurd das ganze ist.
Und dann fordert sie ja noch die Kriminalisierung der Freier bei gleichzeitiger Rettung der in der Prostitution arbeitenden Frauen? Das dies aber absolut nicht funktioniert, sehen wir mindestens am Beispiel Schwedens (sozialwissenschaftlich betrachtet). Siehe dazu Susanne Dodillet und Petra Östergren, „Das schwedische Sexkaufverbot Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte“; Linzer Schriften zur Frauenforschung 51, 2012
Und weil Käßmann, Voigts und Tauch so sehr auf das Nordische Modell pochen, möchte ich diesen ersten Teil meines Kommentars mit den Auszügen aus dem Fazit der eben erwähnten Arbeit von Dodillet/Östergren schließen:
„Wir glauben, dass man mehrere Faktoren beachten muss, um die Diskrepanz zwischen dem beanspruchten Erfolg des Sexkaufverbots und seinen dokumentierten Effekten zu verstehen. […]
Wir sind also der Überzeugung, dass die ”Einzigartigkeit” des Sexkaufverbots und die oben beschriebenen Diskrepanzen im ideologischen und kulturellen Bereich liegen. Sie haben mit dem Bedürfnis zu tun, eine nationale Identität als moralisches Gewissen der Welt zu schaffen und aufrechtzuerhalten; mit Vorstellungen von ”guter” und ”schlechter” Sexualität; mit dem Hurenstigma; mit der Konstruktion neuer Formen sexuellen Fehlverhaltens; mit einer kommunitaristischen im Gegensatz zu einer eher liberalen politischen Kultur; und vielleicht vor allem: einem stereotypisierenden und uninformierten Verständnis von Prostitution.
Wenn es um politische Strategien für den Umgang mit Prostitution geht, sollten diese unserer Meinung nach auf Wissen beruhen und nicht auf moralischen Bedenken oder radikalfeministischer Ideologie. Wir glauben auch, dass die Betroffenen adäquat befragt und ihre Meinungen respektiert werden sollten, wenn neue Strategien entwickelt werden. Unserer Meinung nach war dies beim ”Schwedischen Modell” nicht der Fall.„
Im demnächst folgenden, zweiten Teil der Auseinandersetzung mit jener Podcastfolge von „Mensch Margot“, werden diverse Aussagen der drei Protagonisten im Einzelnen widergegeben und kommentiert. „Freut“ euch schon mal auf allerlei ideologischen Nonsens.
rde