Gießener Verein macht Alarm gegen Prostituierte

Wenn Aufklärung in pauschaler Kriminalisierung und Stigmatisierung endet

Und wieder hat die Gemeinde der Prostitutions-Hasserinnen eine Stimme mehr bekommen. In Form des Gießener Vereins „Alarm! Gegen Sexkauf und Menschenhandel“. Allein der Name lässt erkennen, dass die Gründerinnen keinen Hehl daraus machen, verachtenswerte Verbrechen wie Menschenhandel mit als legal anerkannten Berufsfeldern wie Sexarbeit gleichzusetzen.

Würde sich der Verein allein mit Präventions- und Aufklärungskampagnen zu den Themen „human trafficking“ oder der Loverboy-Masche“ beschäftigen (was er teils tut), wär das super. Aber nein, leider begibt man sich auch noch auf eine pauschalisierende und vorverurteilende Schiene ganz im Sinne gängiger Abolitionisten-Statements. Schrecklich eigentlich, weil sich unter den Vereinsgründerinnen immerhin einige Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen befinden, so informiert jedenfalls die Gießener Allgemeine.

Wie fadenscheinig die Argumente bei „Alarm“ sind, wird schnell auf deren eigener Facebook-Seite deutlich:

1.)

Zur nicht falsifizierbaren Annahme, ein Sexkaufverbot führe zu vermehrten sexuellen Übergriffen äußert „Alarm zurecht gegenüber der Gießener Allgemeinen: „Welches Männerbild offenbart denn so ein Argument?“
Nur um im selben Bericht zu behaupten, Jungen würden, wegen einer Verharmlosung der Prostitution, mit dem Bild aufwachsen: „An Frauen klebt ein Preisschild“.

Was bitte ist das für ein Männerbild? Und wo sind bei solcher Argumentation die männlichen Prostituierten und Transgender vertreten?

2.)

„Alarm“ teilte einen scheinheiligen und verklärenden Beitrag der Vereinigung „Abolition 2014“ mit dem Titel „Das schwedische Modell des Sexkaufverbots für Dummies“. Darin wird behauptet, schwedische Prostituierte würden weder diskriminiert noch bestraft werden. Sie hätten nichts zu befürchten, wenn sie sich an Polizeibehörden wenden. Das Sexkaufverbot würde die Kontrollmöglichkeiten von Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessern. Auch wird die viel zu wenig thematisierte Sexualität von Behinderten heruntergespielt und damit einhergehende Probleme völlig zu kurz gefasst. Als könnte man eine Beweisführung mit nur 5 Sätzen aufstellen.

Literatur zum Schwedischen Modell:

weitere Literatur:

Lesenswertes zum Thema Sexualität von Behinderten:


3.)

„Alarm“ teilt Hauschke Maus völlig absurden Gedankengang, die seit 2002 verzeichneten Morde an Prostituierten (ihrer Recherche zufolge waren es 80) seien ein Gegenbweweis für das Argument „legal makes it safe“.

Würde man wirklich so argumentieren, dann rechen wir jetzt mal alle getöteten Ehefrauen, Vermieter, Bankangestellten, Lehrer [die Liste ist beliebig erweiterbar] zusammen.

4.)

Wieder ein Link zu „Abolition 2014“, zum Text „10 Gründe, warum legale Prostitution falsch ist“. Allein dass darin von „Studien“ die Rede ist, diese aber weder benannt noch mit Quellen kenntlich gemacht werden, zeugt von wenig Glaubwürdigkeit. Aussagen wie „Prostitution ist niemals freiwillig“, „Legale Prostitution schützt die Zuhälter, nicht die Frauen“, „Prostitution fördert Missbrauch und Gewalt“, „Durch Prostitution blüht der Menschenhandel“ oder „Prostitution ist mit der Menschenwürde unvereinbar“ sind einfach nur ein Schlag ins Gesicht von emanzipierten Sexdienstleisterinnen. Allein mit diesen reißerischen Schlagworten (die angehängten „Begründungen“ tun ihr übriges) werden Frauen verunglimft und entmündigt, werden ihrer Souveränität und Emanzipation beraubt, sie werden schlicht zu Opfern stilisiert.

Allein mit der Begründing zu „6. Prostitution bedeutet für die Frauen gesellschaftliche Ächtung und Armut“ stellen sich die Verfasser ein geistiges Armutszeugnis aus.
Zitat:

„Für die Frauen aber hat sich gesellschaftlich wenig geändert. Sie werden noch immer gesellschaftlich geächtet und müssen ihre Tätigkeit vor ihren Familien und Freunden geheimhalten. Kommt das Jugendamt dahinter, dass eine Frau der Prostitution nachgeht, kann es sein, dass es ihr die Kinder entzieht – Prostitution ist eben kein normaler Job wie jeder andere. Da die Frauen keine Altersvorsorge haben, den Job aber auch nicht bis ins hohe Alter machen können und gleichzeitig körperlich stark gefordert werden, erkranken sie früh an schweren Krankheiten und sterben früh und einsam, während sie auf die Hilfe von Hilfsorganisationen angewiesen sind.“

Anstatt hier das gesellschaftliche bzw. politische System zu verurteilen, Lösungen kontra die Stigmatisierung zu finden, wird jenes moralische Gerüst als gegeben betrachtet. Fazit: Das Problem ist kein gesellschaftliches sondern ein persönliches: a lá „Wer sich prostituiert ist selber schuld“.

Die gleiche Argumentation verfolgt man im nächsten Punkt „7. Prostitution bedeutet Ausbeutung“. Da heißt es:

„In einem kapitalistischen System bedeutet jede Form von Lohnarbeit Ausbeutung, so ist es auch mit der Prostitution. Die Prostitutierten haben sprichwörtlich nichts anderes mehr als ihre Körper, die sie zu Markte tragen können, um im kapitalistischen System überleben zu können. Dabei können sie nur hoffen, dass das, was sie mit ihren Körperöffnungen verdienen, reicht, um die horrenden Mieten für die Zimmer […]. Verantwortlich dafür will niemand sein, an ihnen verdienen hingegen will jeder.“

Wären Sexarbeiter_innen eine ethnische Minderheit, wäre der Duktus des Textes ein rassistischer. Soviel versteckter Hass, soviel Opferstilisierung. Sowenig Wille zur Lösungsfindung. Wollte man aber Verantwortung übernehmen, dann wäre den Autoren zufolge die einzige Lösung ein umfassendes Verbot. Gemäß: alles was nicht passt, gehört kriminalisiert.

5.)

„Mit der Liberalisierung der Prostitution durch die damalige rot-grüne Bundesregierung 2002 hat sich Deutschland zur Drehscheibe des Frauenhandels entwickelt und gilt als „Bordell Europas“.

Aufgrund dieser Entwicklungen stellt der Verein ALARM! Gegen Sexkauf und Menschenhandel e.V. anlässlich des Internationalen Frauentags die Frage: Passt die liberale Prostitutionsgesetzgebung Deutschlands zu einer Gesellschaft, die sich die allgemeine Würde des Menschen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zur Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens gemacht hat? Ist die käufliche Frau tatsächlich ein zeitgemäßes Frauenbild?“

Wer sich auf diese Argumentationsebene begibt, hat mal sowas von verschissen. Seriöse Arbeit sieht anders aus. Deutschland als Drehscheibe des Frauenhandels zu bezeichnen ist nichts weiter als eine polemische und hetzerische Falschaussage. Dafür gibt es keinerlei Evidenz.

Eine moralische Gegenüberstellung von Prostitution und einer humanistisch geprägten Gesellschaft (bzw. eines friedlichen Zusammenlebens) macht wenig Sinn. Das würde bedeuten, dass man den menschlichen Geschlechtstrieb (sowohl des Mannes als auch der Frau) als Antiquiertheit, als soziologischen Historismus ansehen könnte. Die Menschheit kommt nun aber nicht ohne Sexualität aus. Und sexuelle Präferenzen, Bedürfnisse und Vorstellungen sind nun einmal genauso vielfältig wie Geschmack eben ist…

Es geht nicht um ein Ja oder Nein, sondern um ein emanzipiertes Wie.

6.)

Kritikunfähigkeit! Weil die TAZ sowohl Ingeborg Kraus als auch Melissa Farley kritisierte (zu Recht), stilisiert sich Frau Kraus gleich mal als als Opfer der Medien: „Gestern fährt die TAZ mit einem Panzer auf und schießt auf Ingeborg Kraus und Melissa Farley.“

Und der Verein „Alarm“, der mit der Therapeutin ideologisch Hand in Hand geht, leistet natürlich sofort geistigen Beistand… Da sieht man, wie sehr sich diese Aktivistinnen in der Rolle der Retterinnen gefallen. Hauptsache niemand übt Kritik. Dann wird mit der Keule vorgegangen.

Was war da noch gleich mit Kraus und Farley?:

Fazit:

»Alarm! Gegen Sexkauf und Menschenhandel« reiht sich ein in eine lange Liste von konservativ radikalen Aktivistinnen, denen es weniger auf eine kristische Auseinandersetzung und vielmehr auf populistische Meinungsmache gelegen ist. Sehr schade eigentlich. Aber vielleicht fährt ja die TAZ demnächst wieder mit einem Panzer vor…

rmv

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