In weiten Teilen gut: SWR-Reportage vom 14.05.

Sabine Harder und Edgar Verheyen versuchten stets Objektivität zu wahren

Dass die „betrifft“-Folge „Verkaufte Frauen – Das boomende Geschäft mit der Prostitution“ im SWR-Fernsehen ausgestrahlt wurde, ist mittlerweile schon 3 Wochen her. Mit etwas Verspätung will ich hier dennoch ein Paar Worte über die Reportage verlieren.

Die Personen hinter dem Film sind Sabine Harder und Edgar Verheyen. Die beiden Journalisten, beide schon für viele Produktionen des SWR im Einsatz, er sogar mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet, haben dabei ein in sich stimmigen und sehenswerten Fernsehbeitrag geschaffen. Natürlich gibt es auch hier und da einige Kritikpunkte aufzuzählen, aber insgesamt versuchte man hier doch unvoreingenommen und objektiv an das Thema heranzutreten – trotz reißerischen Titels.

Der erste Kritikpunkt taucht allerdings gleich zu Anfang der Reportage auf. Da heißt es:

„Nirgendwo in Europa leben so viele Frauen in und vom Rotlichtmilieu. Nirgendwo ist Sex so billig, nirgendwo die Gesetze so liberal. Ein Boom mit verheerenden Folgen für die Frauen im Sexgewerbe.“

Wenn das die der Reportage zugrunde liegende These sein soll, dann wird sie in den folgenden 40 Minuten nicht bestätigt. Allein der erste Satz steht in keiner Relation, immerhin ist Deutschland einer der am dichtesten besiedelten Staaten Europas. Das hat an sich schon einmal die Folge, dass hier mehr Sexarbeiterinnen anzutreffen sind. Die Aussage mag vielleicht richtig sein, wird aber nicht bewiesen. Zudem die Journalisten selbst erkennen, dass es keine gesicherten Zahlen über die Anzahl jener Frauen gibt. Daneben wird der Markt in Ländern, in welchen Prostitution unter Strafe steht, wohl kaum „florieren“ können.

Satz zwei bleibt ebenfalls ohne Beweise. Hauptsache man wirft erstmal was in den Raum hinein. So gibt es keinerlei Erkenntnisse zum mittleren Verdienst der Prostituierten im europäischen Vergleich. Erklärungen, warum Deutschland die liberalste Gesetzeslage haben soll, bleiben aus. Vergleiche zu Dänemark, Niederlande, Belgien, Österreich, Schweiz oder Griechenland, wo Sexarbeit ebenfalls legal ist, gibt es keine.

Die Aussage, dies hätte „verheerende Folgen für die Frauen“, könnte kaum pauschalisierter und populistischer sein. Zumindest wird dieser Satz im Laufe der Reportage relativiert und ergründet.

Interviews mit Prostituierten, Bordellbetreibern, Sozialarbeitern …

Hervorzuheben ist noch eine Sache. Harder und Verheyen waren nur in Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz unterwegs. Klar, das ist nun mal das Sendegebiet des SWR, aber dadurch könnte es sein, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht unbedingt repräsentativ für gesamt Deutschland sind. Allerdings hätte die Recherchearbeit dann auch um ein vielfaches umfangreicher und langwieriger sein müssen.

Was den Filmemachern zugute zu halten ist, ist die Tatsache, dass sie sowohl mit Prostituierten, Bordellbetreibern und Freiern als auch mit Sozialarbeitern, Soziologen und den Behörden sprachen. Durch die diversen Interviews wird deutlich gemacht, dass das Thema Sexarbeit politisch und gesellschaftlich keineswegs pauschal angegangen werden kann, noch gibt es verallgemeinernden Erkenntnisse. Es gibt eben nicht Die selbsterfüllte und finanziell ausgesorgte Sexarbeiterin noch Die ausgebeutete und versklavte Zwangsprostituierte.

So traf Edgar Verheyen in Trier und Stuttgart selbstbestimmte und zufriedene Sexworkerinnen (die auch erwähnen, dass nicht jeder Freier nur Sex will, einige würden einfach nur reden wollen). Er kam aber auch mit finanziell ausgebeuteten Prostituierten sowie einer ehemaligen und seelisch zerbrochenen Hure ins Gespräch. Verheyen besuchte Sabine Constabel in ihrem „Café La Strada“ sowie Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werks in Mannheim. Er sprach mit offensichtlichen Zuhältern und ging mit einem Polizeikommissar über den Stuttgarter Straßenstrich. Michael Beretin führte durch das „Paradise“ und die Soziologin Christiane Howe informierte über statistische Erkenntnisse zu Freiern. Apropo Freier, die kamen natürlich auch in der Reportage zu Wort.

Der Zuschauer gewann so verschiedene Eindrücke sowohl von Seiten der Befürworter als auch der Kritiker. Wie man sich zum Thema positioniert, muss man letztendlich selbst entscheiden. Klar ist nur – und das ist an der Reportage lobenswert – dass das Rotlichtgewerbe trotz seiner diversen Problematiken keineswegs grundsätzlich böse und menschenverachtend ist. Harder und Verheyen haben sich klar von einer Schwarz-Weiß-Malerei distanziert. Kritik über kommunale und nationale politische Entscheidungen gab es hingegen schon. Und diese kam von allen Fraktionen.

Da wäre z.B. der Vorwurf einiger Bordellbetreiber, dass die Stadt Stuttgart illegale bordellartige Betriebe dulde, um weiterhin die Vergnügungssteuer abschöpfen zu können, damit allerdings Ungerechtigkeiten im Milieu schüre. Von Seiten der Sozialarbeiter und Beratungsstellen wurden Missstände, wie fehlende Krankenversicherung bei vielen Frauen, fehlende Umsetzung von politischen Aussagen oder die gesundheitlichen Folgen der Beschaffungsprostitution betont. Stadträte, Polizei sowie Beratungsstellen und die Sexarbeiterinnen selbst sorgen sich hingegen über die steigende Anzahl von osteuropäischen Armutsprostituierten. Nur wollen einige das Problem mit Verboten regeln, während andere mehr Kontrollmöglichkeiten wünschen. Wieder andere sehen eine Lösung in präventiven Maßnahmen. Auch über die Frage, ob das steigende Angebot oder die Zahlungswilligkeit der Freier die Ursache für den Preisverfall ist, wird unterschiedlich beantwortet.

Wie schon erwähnt: Trotz des reißerischen Titels und hin und wieder (aber relativ selten) auftauchender platter Aussagen ist die Reportage durchaus gelungen. Das zeigt auch das vernünftige Schlusswort. Wer die SWR-Produktion sehen will, sie ist zwischen 20 und 06 Uhr in der Mediathek zu sehen.

Zum Abschluss doch noch zwei Kritikpunkte

Zwei Kritikpunkt habe ich doch noch. Und zwar heißt es irgendwann mittendrin:

„Der Schulweg der 6- bis 7-Jährigen führt mitten durch das Rotlichtviertel, das es eigentlich gar nicht gibt [Anm.: vorhandene Bordelle sind illegal]. Oft würden sie sogar von Freiern angesprochen, wurde uns erzählt.“

Das hätte jetzt wirklich nicht sein müssen. Denn diese Aussage ist so vollkommen blödsinnig und unlogisch, dass es schon weh tut.

a) Warum sollten Freier irgendwelche Kinder ansprechen? Wären die Männer Pädophil, dann gingen sie garantiert nicht ins Bordell. Vor allem sind Freier für gewöhnlich selbst auf Diskretion bedacht und pöbeln demnach nicht einfach frei herum.

b) Wenn Kinder von fremden Männern angesprochen werden, woher wissen sie dann, dass es sich dabei um Freier handelt?

c) Die Aussage „wurde uns erzählt“ entbiert jeglicher Beweisbarkeit und Glaubwürdigkeit. Wer hat das erzählt? Warum? Woher kommt dieses Wissen? …

Ähnliche Argumentationen, die immer wieder Kinder in den Vordergrund heben, hatte ich schon mal hier gesammelt.

Zum Zweiten: das Interview mit der als ehemalige Straßenprostituierte vorgestellten ca. 30-jährigen Dame namens „Melissa“. Hier scheint sich diese mittels krass übertriebener Aussagen aufspielen zu wollen (meine Vermutung). Jeder kennt doch die Alte-Damen-Gespräche, bei der jede kränker ist als die andere, jede vorgibt, mehr Arztbesuche und Operationen gehabt zu haben, als ihre Vorrednerin!? So in etwa kommt mir das bei den Darstellungen von Melissa, die 10 Jahre in einem Laufhaus gearbeitet haben soll, vor. Da erzählt sie z.B. Tage gehabt zu haben, an denen sie bis zu 50 Freier bedienen musste. Ich wundere mich ja schon, wenn es in anderen Darstellungen von Prostitutionsgegnern heißt, die Frauen würden bis zu 30 Freier am Tag haben. Aber 50? Geht man davon aus, dass sie 6 Stunden Schlaf am Tag hat, dann hätte sie alle 36 Minuten einen Freier. Da sind noch keine Wasch- und Essenszeiten, Toilettengänge etc. mit eingerechnet. Wo bitte kommt soetwas vor? Vor allem, wo kommen die Freier her?

Alle anderen im Film interviewten Prostituierten, ob auf der Straße im Bordell oder Laufhaus, erzählen, dass sie drei bis 5 Freier täglich bedienen, an manchen Tagen blieben die sogar aus. (Ähnliche Aussagen hören auch wir hier bei Rotlicht-MV.).

An anderer Stelle berichtet Melissa über Sexwünsche von Freiern. Zwar sei es den Männern nicht immer um Sex gegangen, aber auf der anderen Seite sollen die sexuellen Wünsche dieser, wie sie sagt, „Idioten“ immer extremer geworden sein. An dieser Stelle dachte ich: Oh, jetzt kommt was ganz perverses. Was sie aber aufzählte waren noch ganz normale SM-Praktiken. Sie sollte die Männer mit einem Dildo penetrieren oder sie schlagen. Muss man ja nicht mögen, aber wenn einer Prostituierten nicht selbst Gewalt angetan wird, braucht sie solche Wünsche doch einfach nur höflich ablehnen und gut ist. Wenn sie das Geld hingegen braucht, soll sie die Freier doch schlagen…

Wie gesagt, ich habe eher den Eindruck, dass die junge Frau ihre leidvolle Geschichte vielleicht etwas aufbauschen wollte.

rmv

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