Ist Prostitution „das schäbigste Gewerbe der Welt“?

Französische Pseudo-Studie erklärt alle Sexarbeiter/innen zu unmündigen und dummen Opfern

Anfang Juni haben einige Medien über über eine neue Studie / einen Report aus Frankreich berichtet, die/der von sich behauptet, ein detaiiliertes Lagebild der weltweiten Prostitution abzubilden. Das 550 Seiten starke Werk unter dem Titel „Prostitution: Exploitations, Persecutions, Repressions“ hat die Fondation SCELLES herausgegeben. Es ist deren mittlerweile 4. Bericht. Initiator ist der französische Oberstaatsanwalt Yves Charpenel.

Völlig fehlende Neutralität und gewissenlose Meinungsmache

Zu den berichtenden Medien gehört auch Spiegel online. In dem Beitrag „Internationaler Report zu käuflichem Sex: Das schäbigste Gewerbe der Welt“ hat der Spiegel-Autor S. Simons dann gleich mal völlig kritiklos alle Resentiments des Reports übernommen. Und das ist eine Farce. Denn das SCELLES-Machwerk ist vieles, aber an keiner Stelle neutral differenzierend und vorurteilsfrei.

Liest man die Spiegel-Ergüsse, dann ist man erschüttert ob der unmoralischen und menschenunwürdigen „Sexindustrie“. Man erfährt von Millionen Menschenhandelsopfern, von skrupellosen Tätern (organisierten Verbrechern und Handlangern des internationalen Terrors) und von Frauen, die schon im Kindesalter auf ihre Zukunft als Prostituierte vorbereitet werden. Was die Fondation SCELLES und der Autor Yves Charpenel zusammengetragen haben, wirft den empathischen Leser beinahe in eine sofortige Onmacht. Wut und Enttäuschung über die Skrupellosigkeit und Boshaftigkeit der „männlichen“ Täter schleicht sich ein.

Aber sind denn alle Prostituierten Opfer? Na mit sicherheit nicht, aber genau das ist es, was der Spiegel und erst recht Yves Charpenel vermitteln wollen. Eine differenzierte und neutrale Debatte über das Milieu soll anhand von emotionaler Meinungsmache schon im Keim erstickt werden. Das zeigt schon die Berichterstattung. Der besagte Spiegelbeitrag gibt den Tenor des Reports nämlich unverändert wider, gespickt ist er mit zahlreichen bedeutungsschwangeren Schlagwörtern. Da heißt es:

– „Roma-Mädchen und -Frauen sind Taschendiebinnen“
– „immer jüngeren Opfern der Prostitution“
– „Demütigung durch sexuelle Gewalt ist verheerend wie Folter“
– „erbarmungslose Härte „
– „weichgespülte Glamour-Bild der Sexindustrie“
– „barbarische Wirklichkeit“
– „Menschenhandel von Millionen Menschen und ihre Entwürdigung und Einschüchterung durch brutale Gewalt“
– „Sie werden schon im Vorschulalter zur Prostitution angeleitet“
– „Kinder-Sexsklaven, verkauft von Bordellketten“
– „In Wahrheit ist die Prostitution ein Universum der Verletzlichkeit“
– „alltägliche Elend“
– „Lobby der Sexindustrie“
– „Der juristische Kampf gegen die Unmenschlichkeit“
– „Kampf gegen die Menschenhändler“
– „sexuelle Ausbeutung“
– „Anerkennung der Prostituierten als Opfer“

Also da steigt jetzt wirklich Wut in mir auf. Wie gewissenlos muss man eigentlich sein, wenn man über Sexarbeit so unqualifiziert und verfälschend schreibt. Nicht nur, dass hier konsequent an einer einer extrem negativen Darstellung festgehalten wird, Prostituierte/Frauen werden ausschließlich und ohne Ausnahme als Opfer (von Menschenhandel) angesehen. Es wird ein stereotypes Bild von der unmündigen und dummen Sexarbeiterin gezeichnet. Zitat: „“Oft Angehörige ethnischer Minderheiten, diskriminierte Flüchtlinge, Asylanten ohne Aufenthaltsgenehmigung, Opfer von sexueller Gewalt, Drogen- oder Alkoholabhängige.“
Geht’s noch? Was hat das bitte mit einer Facharbeit, noch dazu von einem zur Neutralität aufgerufenen Juristen zu tun? Diese pauschalisierte Diskriminierung, Victimisierung und Patologisierung von Sexarbeiterinnen geht ja mal sowas von an der Realität vorbei. Dieses patriarchailsche und bevormundende Denken voller Scheinheiligkeit und Doppelmoral, was hier gespiegelt wird, das kann es doch eigentlich nicht geben…

Falsche Daten und unbelegtes Zahlenmaterial

Aber damit noch nicht genug. Die Studie will auch „im Detail“ belegen, dass „die weltweite, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Jugendlichen, Frauen: Prostitution als globalisierte Wachstumsbranche floriert.“ Oder dass der „schwedische Markt“ tot sei, dass dort „resolute Verbote die Nachfrage nach Prostituierten drastisch vermindert“ hätten. Dazu kommen wir später…

Das folgende hab ich bis dato noch nirgends gehört oder gelesen. Eine Aussage, die mich völlig von den Socken riss. Da will man herausgefunden haben, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Prostituierten bei 33 Jahren läge. ??? Wie bitte will man das herausfinden? Das würde ja bedeuten, dass irgend eine deutsche Behörde die Sterbedaten mit dem ausgeübten Beruf abgleicht. Aber wie soll das gehen? Für Deutschland: Der Tod einer Person muss beim zuständigen Standesamt gemeldet werden. Das Statistische Bundesamt müsste diese Daten also jenen über den Beruf der Person gegenüberstellen. Nur werden Prostituierte weder irgendwo einheitlich erfasst. Noch arbeiten Sexarbeiterinnen ausschließlich und von Beginn ihrer Berufstätigkeit als solche. Wie weit meine Überlegungen auch gehen, eine Statistik über eine durchschnittliche Lebenserwartung von Sexarbeiterinnen ist NICHT realisierbar. Was soll diese Angabe also?

Der Report „Prostitution: Exploitations, Persecutions, Repressions“ (übrigends im April 2016 veröffentlicht) ist bislang nur käuflich zu beziehen, ein kostenfreier Download noch nicht angedacht. Weil meine Französischkenntnisse aber schon sehr eingerostet sind und ich zugegebener Maßen das Geld für diesen Quatsch nicht ausgeben will, habe ich nicht das Original nicht gelesen. Und dennoch meine ich, mir eine Meinung über den Inhalt bilden zu können. Natürlich beruht sie nicht ausschließlich auf die Medienberichte.

Schon die 3. Erhebung aus 2012 ist fehlerhaft

Was nämlich online zugänglich ist, ist die Vorgängerstudie von Fondation SCELLES aus dem Jahr 2012. Diese kann man als pdf herunterladen und das sogar in der englischen Übersetzung: „Sexual Exploitation – Prostitution and Organized Crime“. Bereits dieses Werk ist fast 400 Seiten stark. Insgesamt wurden 55 Staaten betrachtet.

Und was dort zu lesen ist unterscheidet sich vom Grundtenor in keinster Weise dem Eindruck, den man bspw. durch den Spiegel-Artikel gewinnt. Bislang habe ich nur die Erkenntnisse über Deutschland und Schweden betrachtet. Ehrlich gesagt reicht mir das auch. Auf den ersten Blick scheinen sich die Autoren ja in Zeug gelegt zu haben um dieses Machwerk zusammenzustellen. Da braucht man schon einige Monate für… Aber bei genauerer Betrachtung ist es kaum an Unzulänglichkeit und methodischer Mängel zu überbieten. Klischees und Verallgemeinerungen sowie Meinungsmache, Ideologie und völlig fehlende Neutralität auch hier. Prostituierte werden ausnahmslos als Opfer präsentiert – als Opfer von Menschenhändlern…

Im Detail nutzen Charpenel und Co. nur ausgewählte und die vorgefertigte Meinung bestätigende Quellen. Untermauert werden ihre Theorien dann stets von zweifelhaften Einzelfallbeispielen. Ach und im Fall Deutschland sind die Quellen häufig Sekundärliteratur oder mehr als zur Hälfte Medienberichte und Zeitungsartikel (sogar einer über den Volkswagen-Skandal). Darunter gleich 5 Artikel von „Die Welt“. Bitte was hat das mit seriöser „Forschung“ zu tun? Das hätte auch die Emma so schreiben können.

Das die Hintergründe, Erkenntnisse sowie unsere Rechtslage teils sogar unzureichend und falsch ausgewertet wird, zeigt das teils fehlerhafte und unbelegte Zahlenmaterial. Oder Ursachen/Hintergründe werden einfach mal außen vor gelassen. Ein paar Beispiele:

– 400.000 Prostituierte in Deutschland – davon sind 360.000 bzw 63 Prozent Migranten.
– 42% sind Zentraleuropäer, 16% Osteuropäer oder Zentral-Asiaten, 15% Asiaten aus dem pazifischen Raum, 8% Balten, 8% Lateinamerikaner (inkl. Karibik) 6% Afrikaner, 3% aus den Balkanstaaten und 2% andere Europäer.
– 150.000 der Prostituierten sind behördlich registriert und weitere 250.000 arbeiten schwarz
– annähernd 28.000 der Prostituierten sind männlich (davon 80% Migranten), geschätze 12.000 sind Transgender.
– immer mehr Deutsche werden Opfer von Menschenhändlern, darunter sind 81% unter 21 Jahre. Prostitution ist nur ab einem Alter von 21 zulässig. Diese Altersgrenze erklärt auch die erhöhten Zahlen
– Mädchen zwischen 18 und 21 haben alle eines gemeinsam: einen Mangel an Lebenserfahrung, Unschuld und den Bruch mit ihren Familien.
– Seit der Legalisierung der Prostitution (2002) haben Bordelle ihr Angebot ausgeweitet. So bieten einige extra Dienste für Behinderte durch sogenannte Sexualassistentinnen an.

Bewusste Desinformation?

Ich will das jetzt nicht groß auswerten, das haben wir hier im Blog schon häufig genug gemacht. Auch wenn mir einige der hier vorgelegten Prozentangaben „neu“ sind. Das Zahlenmaterial ist völliger Bullshit. Fiktiv, konstruiert und ausgedacht. Sogar offensichtlich Falsch. So sind bei keiner Behörde 150.000 Prostituierte registriert. Was sollen die einzelnen Prozentangaben, wenn die zugrunde liegenden Zahlenwerte fehlen. Außerdem: in Deutschland gibt es kein Gesetz das besagt, Sexarbeit unter 21 wäre verboten. Dass unter 21-jährige victimisiert werden, liegt daran dass diese laut §232 StGB, Absatz 1, Satz 2 erst einmal pauschal als Opfer von Menschenhandel betrachtet und erfasst werden. Und was soll das mit der gemeinsamen „Unschuld“. Was hat dieses Wort hier zu suchen? Dass alle mit ihren Familien gebrochen haben sollen ist ebenso ausgedacht. Das Thema Sexualassistenz haben die Autoren ja so mal gar nicht verstanden. Was ein Unfug.

Fazit. Bereits der 2012er Report ist komplett unrepräsentativ und ungeeignet. Wenn man nur von wissenschaftlichen Mängeln sprechen könnte. Aber hier wird ja scheinbar ganz bewusst Desinformation betrieben. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich der Fondation SCELLES Frauenfeindlichkeit unterstelle. Immerhin werden alle durchweg für unmündig, dumm und hilflos erklärt.
Daher ist zu vermuten dass es sich inhaltlich auch bei dem neuesten CHARPENELschen Erguss so verhält. Eine Schande!!!

An dieser Stelle möchte ich passend dazu Ronald Weitzer von der George Washington University zitieren. In „Flawed Theory and Method in Studies of Prostitution“ schreibt er:

„In no area of the social sciences has ideology contaminated knowledge more pervasively than in writings on the sex industry“…

rmv

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