Jens Spahn, der neue Mann im „Kampf“ gegen die Sexarbeit?

Nach plumpem Strohmann-Argument im Watson-Interview: BSD lädt Gesundheitsminister zum Bordellbesuch ein

Die Sexworkerinnen und Bordellbesitzer:innen im Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD) sind entsetzt. In einem Interview vom 24.09.2021 mit dem News-Portal watson äußerte sich Noch-Bundesgesundheitsminister Jens span abschätzig gegenüber der Branche.

Eigentlich ging es in dem Gespräch um was ganz anderes. Thema war die „Lage junger Menschen in der Corona-Krise – und zur Zukunft der CDU„. So weit so verständlich. Dann kam aber seitens der Interviewer der Einwand, bei vielen jungen Menschen entstĂĽnde der Eindruck, deren Interessen seien weniger wert. Und der Minister griff in die Trickkiste. Ganz ganz tief. So verglich er: „Ich verstehe, dass dieser Eindruck manchmal entsteht. Wir wurden ja teilweise durch Gerichtsurteile zu MaĂźnahmen gezwungen, die nur schwer verständlich waren. So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren.“

Verständlicherweise kam dieses Strohmann-Argument nicht gut an. Unter anderem beim BSD. In einem Offenen Brief an Minister Spahn fragten Elke Winkelmann und Stephanie, ob sich dieser auch darĂĽber mokiert habe, dass Hotels, Restaurants und Theater ebenfalls den Rechtsweg gegen Corona-Beschränkungen einschlugen. Immerhin sei die Politik wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, eines Bestandteils unseres rechtsstaatlichen Systems, gerichtlich zur Ă–ffnung der Bordelle gebracht worden. Am Ende des Schreibens lud der Interessensverband Herrn Spahn zu einem – selbstverständlich diskreten – Bordellbesuch ein. Dort wolle man ihm einen umfassenden Einblicke in die Vielfalt der Branche geben.

Folgend der Ă–ffentliche Brief im Wortlaut:

Herr Gesundheitsminister Spahn: wir laden Sie zu einem Bordellbesuch ein!

Gegenüber der Presse äußerten Sie:

1.   „So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren“, bedauert Jens Spahn in einem watson-Interview.

2.   Im Satz zuvor bedauert er es, dass die Politik „durch Gerichtsurteile zu MaĂźnahmen gezwungen“ worden sei. Damit bezieht er sich auf die Klagewelle im Spätsommer 2020, nach der viele Bordelle unter Auflagen wieder öffnen durften.

Diese Aussagen haben uns erstaunt, aber auch verärgert.

Sie bezogen sich hier auf die Corona-SchlieĂźungen. Dabei ist Ihnen offensichtlich der Unterschied zwischen Bordellen und Schulen nicht bekannt, obwohl wir Sie in umfangreichen Statements darĂĽber informierten:

–         in den Schulen treffen fĂĽr mehrere Stunden viele SchĂĽler*innen zusammen.

–         Sexarbeit in den Bordellen findet dagegen fast immer in einem 1 : 1 Kontakt statt (1 Sexarbeiter*in trifft auf einen Kunden) und meist sind die Kontakte kurz (15 – 30 Minuten).

Wir haben Sexarbeit in Bordellen immer verglichen mit Frisören, Masseuren, etc. und aus epidemiologischer Vorsicht eine Öffnung der Bordelle nur mit einem 1 : 1 Kontakt gefordert.

Dass die Politik durch Gerichtsurteile zur Öffnung der Bordelle gezwungen wurde (wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes), ist Bestandteil unseres rechtsstaatlichen Systems, das für Sie als Bundesminister selbstverständlich sein sollte. Haben Sie sich auch darüber mokiert, dass Hotels, Restaurants und Theater ebenfalls den Rechtsweg gegen Ihre Corona-Beschränkungen einschlugen?

Wir werfen Ihnen nicht vor, dass Sie keine Erfahrungen mit der Sexarbeitsbranche haben, wohl aber, dass Sie sich nicht informieren, bevor Sie Regelungen fĂĽr Bordelle treffen und sich dann auch noch mit FakeNews despektierlich äuĂźern. So wollen wir die Gelegenheit nutzen und Ihnen umfassend Einblicke in die Vielfalt unsere Branche geben und laden Sie zu einem Bordellbesuch â€“ selbstverständlich diskret – ein.

Zuvor gab watson.de BSD-Vorstand Stefanie Klee direkt die Möglichkeit zur umfangreichen Stellungnahme. Darin bezeichnete die Berlinerin Spahns Aussage als „Frechheit“. So werde die Branche mit Absicht in einen unsachlichen und Stimmung machenden Kontext gestellt um sie „gegen die Gesellschaft und ihre Kinder auszuspielen“. Klee geht im Interview auch auf die aktuellen Misstände und politischen Entscheidungen der letzten Jahre ein. Unter anderem auf Verschärfung der Freierbestrafung, auf die andauernde Tabuisierung, auf strukturelle Probleme in puncto Krankenversicherung, auf Sexualität als GrundbedĂĽrfnis und Stabilitätsfaktor fĂĽr den Menschen.

  • Das ganze Interview mit Stefanie Klee ist hier zu lesen.
  • Hier entlang geht’s zum watson-Gespräch mit Jens Spahn.
  • Und hier natĂĽrlich noch der Artikel anlässlich der Einladung an Jens Spahn ins Bordell.

rde

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