Kritik an „Mission Freedom“ und Gaby Wentland. Teil 2

Vereinsgründerin spricht sich selbst die Qualifikation ab

Gaby Wentland und ihr Verein Mission Freedom, der sich zur Aufgabe machte „Opfern des Menschenhandels eine neue Perspektive für ihr Leben zu geben und praktische Hilfe für einen Neustart in ihre Zukunft zu leisten“, sind in die mediale Kritik geraten (wie im ersten Teil zu lesen). Ob die 2011 gegründete und unter dem Schirm der Evangelischen Allianz Hamburg arbeitende Organisation wirklich qualifizierte Opferbetreuung leisten kann steht zur Debatte.

Wenn man als Außenstehender keinen Einblick in die direkte Arbeit des Vereins hat, dann sind Urteile, ob positiv oder negativ, schlecht möglich. Eines kann man aber doch machen: und zwar die öffentlichen Auftritte der Vereinssprecher werten. Wichtigster Kritikpunkt war die vermeintliche Falschaussage einer angeblichen ehemaligen Zwangsprostituierten, die auf Veranstaltungen von Mission Freedom auftrat.

Weitere Punkte: Auf der Vereinswebseite selbst findet man kaum Anlass zur Kritik, da der Verein hier insgesamt sehr seriös und fachlich korrekt auftritt: Höchstens ein einzelner Satz, der aber auf eine Aussage des Bundeskriminalamt beruht, könnte einem etwas aufstoßen:

„Diese Zahlen [Anm.: 640 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Deutschland im Jahr 2011] beschreiben nur die Spitze des Eisbergs. Nach vorsichtigen Schätzungen des BKA dürfte die Zahl der Opfer bei mehreren Zehntausend pro Jahr liegen. Es gibt keine verlässlichen Angaben hierzu.“

Ja, es gibt keine empirische Grundlage für diese Schätzung. Wie es mit Dunkelziffern häufig ist, sind dies Schätzungen. Mit Schätzen kann man aber auch komplett daneben liegen. Vor allem, da das BKA jene Schätzung schon 2005 aufstellte. Und was heißt mehrere 10.000? 20.000 oder 60.000? Also von solchen Aussagen halte ich, wie bekannt, nichts. Aber gut, das ist Mission Freedem jetzt nicht unbedingt persönlich anzukreiden.

Gründerin Gaby Wentland kann man Unwissenheit aber schon ankreiden. So trat sie zum Beispiel im Sommer 2013 im Fernsehen des ERF (Evangeliums Rundfunk) auf. In der Sendung „Wartburg-Gespräche“ wurde in kleiner Runde über „Die Ware Mensch“ diskutiert. Moderator Jürgen Werth empfing neben Gaby Wentland auch den Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich (CDU) und den Leiter des Kommissariats für Sittendelikte in Kassel, Jörg Kruse.

Wartburg-Gespräche: „Die Ware Mensch“

Die Sendung vom 27.08.2013 (Aufzeichnung am 08.07.) bestach durch eine gelassene Plauderatmosphäre und übereinstimmendem Miteinander. Mit einer fast schon obszönen Heidschibumbeidschi-Mentalität waren sich alle Diskutanten darüber einig, dass Prostituierte beinahe ausschließlich als Opfer anzusehen sind. Lediglich Kriminalhauptkommissar Kruse versuchte bei manch vorschnell geäußerter Meinungsmache zu intervenieren – das jedoch viel zu seicht, als ob er übermäßig darauf bedacht wäre, nur ja keinen Streit vom Zaun zu brechen oder in der Runde nicht in Ungnade zu fallen.

Gleich eine der ersten Aussagen des Talks stieß etwas bitter auf. Jürgen Werth (Jahrgang 1951) meinte, Prostituierte in Bordellen „sind ganz oft Mädchen“. Mädchen? Nun ja, denkt man sich in Menschen hinein, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, dann ist die Aussage verständlich. So bezeichnet diese Altersgruppe ja häufig Frauen bis Mitte 30 noch als Mädchen. In diesem Kontext ist eine solche Aussage – erst recht von einem ausgebildeten Journalisten wie Werth – allerdings indiskutabel. Denn der Begriff Mädchen beschreibt eine weibliche Person, die das Erwachsenenalter noch nicht erreicht hat. Er suggeriert also, der große Teil der Sexarbeiterin sei minderjährig. Und das ist ganz klar eine Falschaussage. Alberne Aussagen trafen auch Wentland und Heinrich.

Von Zahlenspielen, Hobbymathematikern und Gutmenschen

Die Ausführungen der (ehemaligen) Missionarin Gaby Wentland, die hier als Gründerin und Mitarbeiterin von Mission Freedom auftrat, disqualifizierten sie in ganzer Linie. Nach eigener Aussage habe sie vor der Taufe des Vereins rund drei Jahre intensiv zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution global als auch national recherchiert. Auf der Webseite des Vereins wird Wentland von einer Frau Kastendieck so beschrieben:

„Die Hamburgerin kennt die Zahlen. Sie kennt die Methoden. Und sie kennt die Betroffenen, weil sie seit jenem Vortragsabend hinschaut. Und etwas tut. Die Pastorenfrau ist zum Landeskriminalamt gegangen, recherchierte im Internet, sprach mit Menschen wie Lea Ackermann, der Gründerin von Solwodi, einem Verein, der Frauen hilft, die als Opfer von Menschenhändlern, Sextouristen und Heiratsvermittlern nach Deutschland gekommen sind.“

Dass Solwodi und Lea Ackermann auch gerne Zahlen erfinden, ist ja bekannt. Macht es auch Gaby Wentland so? Ja! Im Laufe der Sendung redet sie sich existierende Zahlen (ob überprüfbar oder nicht) schön und konstruiert daraus ihr eigenes Bild:

Ihr zufolge gäbe es neben den 400.000 Prostituierten in Deutschland noch eine hohe Anzahl an nicht erfassten Zwangsprostituierten. Auch der selbsternannte „Mathefan“, Frank Heinrich, machte Gebrauch der selbigen Zahl. Zwar erklärte er, dass diese Schätzung vom Verein Hydra stamme, ließ aber unerwähnt, dass Hydra heute nicht mehr von dieser Zahl (aufgestellt 1988 – lange vor dem ProstG und der angeblich daraus resultierenden Zunahme der Prostitution) spricht. Andere Schätzungen zu nennen, ziehen beide nicht in Erwägung. Nach dreijähriger Recherchearbeit sollte Wentland aber welche kennen, es sei denn, ihr genügt in Schwarzer’scher Manier diese hochgegriffene Schätzung.

Wentland erwähnt auch Kinderprostitution und erklärt, 27 Prozent der Zwangsprostituierten wären minderjährig. Wie jetzt, 27% jener „hohen Anzahl“? 27% der „mehreren 10.000“? Oder gar 27% der angeblich 80-90% Zwangsprostituierten? Antwort kommt vom Moderator. Der rechnet sogleich mit einem Ausgangswert von 400.000 und kommt auf 100.00 minderjährige Opfer. Mein lieber Herr Gesangsverein! A, geht er somit davon aus, dass alle in der Bundesrepublik arbeitenden Sexworker dies unter Zwang täten. Und B: Laut der offiziellen Statistik des Bundeskriminalamtes wurden 2011 640 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Deutschland ermittelt. Davon waren 12 Prozent (also 77 Personen) unter 18 Jahre. So steht es auch auf der Homepage von Mission Freedom. Woher also die 27 Prozent? Das lässt Wentland natürlich völlig frei im Raum stehen.

An anderer Stelle spricht die Vereinsvorsitzende davon, dass:

  • Zwangsprostituierte am Tag „häufig 30 – 40 Freier“ bedienen müssten
  • betroffene Frauen „oft wesentlich jünger als 18“ seien
  • den Frauen oft falsche Pässe ausgehändigt würden, da sie ja eigentlich gar nicht im Land sein dürften
  • fast alle Frauen wegen fehlender Krankenversicherung krank, fast alle verletzt seien
  • in puncto Arbeits-, Hygiene- und Lebensverhältnisse gehe es den Frauen „schlimmer als den Sklaven in der vergangenen Zeit“, sie würden eingesperrt werden, seien verdreckt, hätten kein Ausgang und kein richtiges Essen…
  • man sich Flatratebordelle so vorstellen muss: „da ist ein großer Raum. Da sind zum Teil 100 Frauen drin, die laufen nackt umher…“

Alle diese undifferenzierten, wagen, schwammigen und populistischen Aussagen bleiben dabei völlig unkommentiert – zumal im Zusammenhang mit jenen vorab frei konstruierten Zahlen. Wo bitte sind die 3 Jahre Recherche? Auch hält sie es nie für nötig den Begriff Zwang zu differenzieren. Das wäre allerdings zwingend notwendig, wenn es um dieses Thema geht. Aber wenn man bedenkt, dass Frau Wentland Sympathien zur Arbeit von Frau Ackermann und Frau Schwarzer hegt, wird einem einiges klar…

„Ich habe mitbekommen, dass das Prostitutionsgesetz hohe Wellen geschlagen hat“

Wie schon erwähnt war die Hamburger „Fachfrau“ nicht die einzige Person in der Runde, welcher es scheinbar ein wenig an Kompetenz mangelte. Ihr gleich zog der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“, Frank Heinrich. Der 49-Jährige, der erst im Mai 2013 jenen Verein gründete, formulierte durchaus lautere Ziele. So u.a. Aufklärungsarbeit (auch an Schulen), Prävention, Verbreitung von Informationsblättern; daneben kreidete er die schlechten Datenlagen oder das Nichtvorhandensein von seriösen Dunkelfeldstudien an. Definitiv gute Ziele, ob die jedoch umgesetzt werden, steht offen. Zumindest bekommt man den Eindruck, da Heinrich die verschiedenen Punkte stets mit „könnte sein“, „wäre möglich“ abschloss. Macht sein Verein nun oder wäre es möglich, dass er was macht?

Neben der allseits beliebten Nennung der angeblich vierhunderttausend Prostituierten im Folgenden ein paar weitere seltsame Verlautbarungen des studierten Theologen und Sozialpädagogen:

– durch die gute Recherchearbeit verschiedener Medien im Laufe des letzten Jahres (z.B Spiegel), sowie durch drei „Tatort“-Folgen sei die Bevölkerung mehr sensibilisiert worden

Dazu interveniert glücklicherweise Kriminalhauptkommissar Jörg Kruse und differenziert, dass das im Tatort geschilderte nicht zwingend das selbe sei, wie die Realität.

Und was die gute Recherchearbeit der Medien betrifft. Gut war sie nur in einem Teil der Fälle. Außerdem haben die Zeitungen das Thema doch nicht erst kürzlich für sich entdeckt.

– „ich bin noch nicht so lange im Bundestag, aber ich habe mitbekommen, dass das ProstG hohe Wellen geschlagen hat.“

Ähh??? Der Satz kommt doch nicht wirklich von jemandem, der einen gemeinnützigen Verein gegründet hat, welcher sich gegen Zwangsprostitution einsetzen will. Er hat „mitbekommen“! Das klingt wie: er hat schon einmal davon gehört.

– natürlich durfte bei dem CDU-Politiker auch nicht der Parteiliebling unter den Argumenten, das Frittenbude-Argument, fehlen

– fordert Schutz für außereuropäische Frauen vor Zwangsabschiebung

Aber dass ist doch genau der Punkt, welchen seine Partei bislang immer verhindert hat. Gesetzesvorschläge der Grünen und der SPD wurden stets abgeschmettert. Zumal das kein Punkt des Prostitutionsgesetzes ist.

– „in meiner Stadt gibt es kein offizielles Bordell“

Heinrich kommt aus Chemnitz und meint auch Chemnitz, einer Stadt mit rund 241.000 Einwohnern. Und hier gibt es mindestens 16 „Studios“ und Clubs in denen Sexarbeiterinnen ihre Dienste leisten. Wovon spricht er also? Obwohl, für den „Welt“-Hurenatlas lieferte die Stadt Chemnitz der Tageszeitung keine Angaben. Vielleicht war das seine Quelle.

– Er erklärt, es sei ein Gesetz in Kraft getreten, welches eine gewerbeamtliche Anmeldung für Prostitutionsstätten fordere.

Damit meint er wohl diesen im September vom Bundesrat abgeschmetterten Gesetzentwurf.

– als Wentland von den Freiern vermehrte Hilfe in Puncto Anzeige von Menschenhandelsfällen wünscht, stimmt Heinrich dem zu. An späterer Stelle spricht er aber von einer Kriminalisierung der Freier.

Aha. Aber das ist ja ein bekannter paradoxer Gedankengang von CDU und CSU.

– Mit dem Prostitutionsgesetz habe man den Prostituierten und den Freiern das Recht gegeben, zu machen was sie wollen.

Die Hure Deutschland

Noch erbärmlicher wird es am Ende der Sendung. Die 50 Minuten lang grinsende und dauernickende Gaby Wentland fordert gerade noch von den Zuschauern: „Informieren Sie sich, helfen Sie und beten Sie!“, da wechselt sie plötzlich das Thema und beginnt über Kinderpornografie zu sprechen. Wie schrecklich das sei, dazu könne man „sich Szenen im Internet anschauen“, ruft sie aus. Was in aller Welt macht die Frau? Was hat Kinderpornografie mit Prostitution zu tun? Die fängt ja genauso an wie Schwarzer. Außerdem, was meint sie mit „man kann sich Szenen im Internet anschauen“? Meint sie Reportagen darüber oder will sie, dass man sich echtes Filmmaterial anschaut? Was zum Henker soll das für ein Schlusswort sein?

Damit nicht genug. Nach Wentlands Ausflug in die Kinderpornografie und den Kindesmissbrauch ergänzt auch Moderator Jürgen Werth : „Weil das auch der Einstieg in die Prostitution ist“. Dann posaunt auch Frank Heinrich munter heraus: „Die Einstiegsdroge für Prostitution ist Pornografie.“ Was zum Geier….?

Man merkte an dieser Stelle dem in der Runde sitzenden Kasseler Kommissar ein ganz klein wenig sein Entsetzen darüber an. Er bot dem etwas Einhalt und wechselte dann das Thema wieder zum Ursprünglichen. Aber eigentlich wäre hier schon mehr Aufbegehren angebracht gewesen.

Letztendlich schloss Werth die Runde mit den Worten, dass ein Großteil der Bevölkerung ja nichts mit Prostitution zu tun habe, keine Bordelle kenne und auch keine in ihrer Nachbarschaft habe – so im Sinne eines Wortes zum Sonntag: diese braven, unschuldigen Schäfchen wissen noch was Anstand ist und sich gehört… „Es gibt Hoffnung!“, meinte er.

Was wollte man also mit der Sendung erreichen? Christliche Gutmenschen in den Vordergrund stellen? Vor der allseits bösen und schlimmen Prostitution warnen? Auf jeden Fall sollte das Thema Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und das Böse in der Welt aufs Maximum hochstilisiert werden: ganz im biblischen Sinne der „Hure Babylon“ – nur das nun Deutschland als Sündenpfuhl und „Bordell der Welt“ bezeichnet wird.

Schade nur, das niemand eingeladen war, dem es wichtig ist zu differenzieren, der verbal Kontra gegeben hätte, der überhaupt Ahnung von der Materie hat…

rmv

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