„Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“

CDU/CSU Fraktion will gleichlautenden Antrag am Freitag in den Bundestag einbringen

Seit November ’23 geht die Union in Sachen Sexarbeit wieder steil. Damals beschloss Bundestagsfraktionen ein Positionspapier, wonach das ProstSchG gescheitert sei und ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten „Nordischen Modell“ angestrebt werden müsse. Übrigens ein Papier, das nur so gespickt ist mit Vorurteilen, irrigen Annahmen und Klischees.

Das Positionspapier war wiederum das Ergebnis einer zwei Monate zuvor von der bayerischen Europaabgeordneten Maria Noichl (SPD) in das EU-Parlament eingereichten Resolution (mehr dazu hier). Der in Zusammenarbeit mit Christine Schneider (CDU) erstellte Eigeninitiativenbericht mit dem Titel „Regulierung der Prostitution in der EU: ihre grenzüberschreitenden Auswirkungen und Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frau“ ist ebenfalls mit Jahrzehnte alten Klischees und nicht totzukriegenden Falschbehauptungen der Abolitionist:innen-Lobby gespickt. Und weil das so ist, wird es u.a. von der Europäischen Allianz für die Rechte von Sexarbeiterinnen und der Europäischen Koalition für die Rechte und die Eingliederung von Sexarbeiterinnen, die wiederum weitere 12 Menschenrechtsorganisationen vertritt, strikt abgelehnt. Unter den Prostitutionsgegner:innen findet es umso mehr Gehör. Besonders forciert von der Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär (CSU).

Gefährliches Positionspapier

Nun geht die Union den nächsten Schritt. Inhaltlich fast noch wilder, unsauberer, verleumderischer. Alles gesammelt in einem Antrag sie am Freitag, den 23. Februar in den Bundestag einbringen will. „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ heißt die Schrift.

Darin heißt es eingangs:

„Der Versuch mit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 die Prostitution in Deutschland zu legalisieren und damit die Situation für betroffene Personen zu verbessern, ihr Schutzniveau zu erhöhen und sie in eine sozial- und krankenversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen, ist gescheitert. Die tatsächliche Situation in der Prostitution hat sich seitdem drastisch verschlechtert. Dies betrifft insbesondere Frauen, die laut Schätzungen über 90% der von Sexkauf betroffenen Personen ausmachen. Die Strukturen des Prostitutionsmilieus sind bis auf wenige Ausnahmen selbst bestimmter Prostituierten zutiefst menschen- und insbesondere frauenverachtend. Der überwiegende Mehrheitsanteil der Prostituierten ist Teil der unfreiwilligen Armuts- und Elendsprostitution und damit täglich sexueller Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch schutzlos ausgeliefert.“

Wer unsere Kommentare und Analysen regelmäßig ließt, weiß, was von obigen Behauptungen zu halten ist. Ja es sind Behauptungen, da sie mit keinerlei validen Daten übereinstimmen, weil sie framen, weil sie ausschließlich emotionalisieren sollen. Es ist trotz vorhandener Missstände und real existierender Straftaten im Ganzen nur Lug und Trug sind. Abolitionisten arbeiten seit Jahrzehnten mit dieser Vorgehensweise.

„Grundlegender Paradigmenwechsel in der nationalen Prostitutionsgesetzgebung“

Auf jeden Fall fordert die CDU/CSU-Fraktion mit dem Antrag einen wie sie schreibt „grundlegenden Paradigmenwechsel in der nationalen Prostitutionsgesetzgebung“ nach dem Vorbild des sogenannten „Nordischen Modells“. Ein erarbeitetes „Dreisäulenmodell für Deutschland“ soll die Lösung bringen.

Auf die daran anknüpfenden Ausführungen kann man eigentlich gar nicht eingehen. Zu sehr sträuben sich da die Haare. Auf zwei Stichpunkte heruntergebrochen ist ja sogar was Gutes zu finden. So wolle man den „Ausbau von Präventions- und Ausstiegsangeboten“ forcieren und „Ausstiegsangebote für Prostituierte weiter auszubauen und den Beratungsstellen langfristig eine verlässliche finanzielle Unterstützung zuzusichern“. Zwei von 16 Punkten. Der Rest ist… Holla die Waldfee, gespenstisch.

Denn DIE zentrale Säule dieses Modells ist die Einführung einer Strafbarkeit für den Kauf sexueller Dienstleistungen sowie die Stärkung der Durchsetzungsautorität der Verwaltungs- und Vollzugsorgane.“ Gespickt mit zahlreichen hohlen Phrasen und nicht finanzierbaren, geschweige denn umsetzbaren Kampagnen, Maßnahmen, Modellprojekten und … Obacht: „Rückkehrprogrammen“. Sogar die zwei oben positiv hervorgehobenen Punkte sind eine Farce, wenn man bedenkt, dass gerade Beratungsangebote und Beratungsstellen in den 16 Jahren, in denen die Union in Regierungsverantwortung war, stets unzureichend finanziert waren. Der Union ging es noch nie darum, niedrigschwellige, präventive und nachhaltige Angebote ausreichend zu finanzieren. Daher ist auf die im vorliegenden Antrag gemachten Aussagen auch nicht zu vertrauen. Es geht einzig um die Illegalisierung. Was mit den angeblich über 220.000 von „täglich sexueller Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch“ betroffenen Frauen passiert, juckt nicht.

Ausstiegs- und Rückkehrprogramme für mehrere hunderttausend Menschen

Ihr habt richtig gelesen – 220.000 (das sollen die 90% Unfreiwilligen sein). Die Union möchte also für mehrere hunderttausend Menschen Ausstiegs- und Rückkehrprogramme (inkl. notwendige Unterstützung in deren Heimatländern) samt Betreuung zur Rückkehr in ein „selbstbestimmtes Leben“ finanzieren? Wohlgemerkt wird gleich mal eine „verlässliche finanzielle Unterstützung“ zugesichert. Aber ihr ahnt es: natürlich steht da nichts zum Wie. Zumal das ja eigentlich unmittelbar geschehen muss, nachdem ein solches Gesetz inkraft träte. Andernfalls…

Die elustren Ideen gehen übrigens noch weiter. So wolle man „Aufklärungs- und Präventionsarbeit von Kindern und Jugendlichen“ umsetzen, dazu „Schulungen und die Aufklärungsarbeit zum Umgang mit Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution bei den zuständigen Polizeibeamten, Staatsanwälten, Richtern und Behörden“. Investitionen in die „Bildung von spezialisierten Polizeieinheiten“ oder in eine „Monitoringstelle“ kommen noch oben drauf.

Initiativen der Gegenseite

Trotz dieser durchweg schlecht gemachten und inhaltlich angreifbaren Initiative der Unionsfraktion hat man in den unterschiedlichen Lagern der Gegenseite große Sorge. Ob nun von Seiten der Bordellbetreibenden oder der Sexworker. Die Stimmungsmache und der populistische Aktivismus pro Kriminalisierung ist innerhalb der letzten Jahre stark angewachsen. Und die Abolitionisten sind untereinander sehr gut vernetzt.

Was also tun?

Der Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland (UEDG) hat erst am zurückliegenden Dienstag eine Fachveranstaltung durchgeführt. „Jetzt erst recht – gegen das Prostitutionsverbot“ so der Aufruf. Viele geladene Experten referierten unter anderem zur juristischen Beurteilung eines potentiellen Verbots. So schnell wie möglich will der Verband die Aufklärungskampagne „Legal Sexwork“ umsetzen.

Auch der Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen (BesD) sieht die Rückwärtsentwicklung mit Sorge:

„Wir sind in Angst vor dem nordischen Modell. Angst keine Kunden mehr zu haben. Angst, denn das nordische Modell wird ein Aus für alle Prostitutionsstätten bedeuten, und somit unsere Arbeitsplätze vernichten – sichere Arbeitsplätze. Wenn wir uns jetzt nicht mit aller Kraft gegen die Einführung des nordischen Models wehren, dann sieht die Zukunft für uns Sexarbeitende und unsere Kundschaft bald sehr einsam und traurig aus.“ – Das schreibt der Berufsverband im Nahmen von Sexarbeitenden in Deutschland aktuell auf seiner Webseite.

Denn dem BesD zufolge „verhindern Verbote die Sexarbeit nicht, sondern verschlechtern die Situation.“ Nichts könnte diese Aussage mehr bestärken und beweisen, als das Beispiel Corona.

In einer aktuellen Pressemitteilung analysiert der BesD schlüssig, warum „die CDU/CSU das Thema schon am 23. Februar 2024 in den Bundestag“ drängt und wie die tatsächliche Faktenlage ist.

Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD) fordert „Redet mit uns! – Wir sind die Experten!“ und schreibt in einer Pressemitteilung
„Offensichtlich ist die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages auf die ambitionierten Machtbestrebungen von Frau Bär, ehemalige Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Merkel und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, hereingefallen. Auf jeden Fall lässt das Positionspapier jede Sachlichkeit missen, wie auch eine faktenbasierte Analyse. Sie strotzt vor Fakenews, Populismus, Dramatisierung und moralischen, paternalistischen Bewertungen. […] Wir bestreiten nicht, dass es Missstände in unserer Branche gibt. Das ProstSchG hat hier jedoch deutliche Maßstäbe gesetzt…“

Die SeLA – Beratungsstelle für Menschen in der Sexarbeit schrieb kürzlich in einer Stellungnahme:
„Sexarbeit ist auch 2023 stark von Tabuisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen. Nicht zuletzt die Forderung einiger Politikerinnen und Organisationen für eine Freierbestrafung zeigt, wie sexarbeitsfeindlich Gesellschaft und Politik sind. Um über Gewalt gegen Sexarbeiterinnen zu diskutieren, hilft es Sexarbeiterinnen nicht, wenn über ihre Tätigkeit per se als patriarchale Ausbeutungs- und Gewaltform berichtet wird.“

Die Beratungsstellen Hydra und „Smart Berlin“ planen im Mai zusammen mit u.a. der Berliner SEX WORKER ACTION GROUP eine Tanzdemo in der Bundeshauptstadt, die die Emanzipation der Sexarbeiter:innen befeuern soll.

Viel Unterstützung, Zuspruch und Expertise von außerhalb der Branche

Lesenswerte Beiträge (eine Auswahl):

Verfassungsblog.de:
„Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen Die Unionsfraktion fordert ein Sexkaufverbot – doch gut gemeint ist manchmal unterkomplex“

Lesben- und Schwulenverband (LSVD):
Beschluss des LSVD-Verbandstages 2023 „SEXARBEIT – SELBSTBESTIMMUNG STATT STIGMA“

menschenhandelheute.net:
„Verletzt das „Nordische Modell“ die Menschenrechte? Die Kundenkriminalisierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“

kobinet-nachrichten | Tagesaktuelle Nachrichten zur Behindertenpolitik:
CDU/CSU fordert Sexkauf-Verbot – Ende von Sexualassistenz?

Flaschenpost – Nachrichtenmagazin der Piraten:
„Das nordische Modell und die christlichen Demokraten“

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Gerne guckt dazu auch noch einmal in unseren Beitrag „ZDF Morgenmagazin von der Abolitionisten-Lobby gekauft?“ hinein.

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