Nachtrag zum Fachtag „Prostitution in Mecklenburg-Vorpommern“

NDR und SVZ berichten äußerst einseitig

Wie berichtet fand am vergangenen Mittwoch in der Barlachstadt Güstrow erstmalig ein Fachtag „Prostitution in Mecklenburg-Vorpommern“ statt. Und wie erwähnt ohne die Anwesenheit von Vertretern des Rotlichtgewerbes. Nicht einmal der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ wurde eingeladen, ebenso wenig Mitglieder des Bündnisses der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas) oder des Unternehmerverbandes Erotik Gewerbe Deutschland (UEDG). Von nichtorganisierten Vertretern des Milieus ganz zu schweigen.

Was in Güstrow vorgetragen, welche Erkenntnisse dort gewonnen wurden, das wissen bislang nur die Teilnehmer selbst. Eine offizielle Pressemitteilung oder umfangreiche Berichtertattung gibt es noch nicht. Lediglich die Schweriner Volkszeitung und das NDR Nordmagazin – Land und Leute haben berichtet. Und wenn der Fachtag genauso ablief, wie jene beiden Beiträge, dann gibt das schon zu denken, denn unvoreingenommen und vorurteilsfrei waren weder der SVZ-Artikel noch die NDR-Reportage.

NDR-Moderator thematisiert nur Zwangsprostitution

Noch vor kurzem habe ich das NDR Nordmagazin wegen seines Berichts über das Eros Center Rostock samt Interview mit einer Sexarbeiterin gelobt (siehe hier). NDR-Reporter Frank Breuner hat das nun zunichte gemacht. Der Mitvierziger interviewte vor Ort zwei Gäste, zum einen die Landeskriminalbeamtin Silke Kern und zum zweiten die Leiterin der „Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsverheiratung in MV“ (Zora), Nicole Asbrock. Dabei konzentrierte sich Breuner ausschließlich auf das Thema Zwangsprostitution. Komisch, ich dachte, die Tagung stünde unter dem Leitgedanken „Prostitution in Mecklenburg-Vorpommern“ und nicht „Menschenhandel in Mecklenburg-Vorpommern“.

Dankenswerter Weise reagierte dann Frau Asbrock auf Breuners Frage „ob man mit einer Heraufsetzung des Mindestalters der ganzen Situation Herr werden könnte“, mit den Worten:

„der Situation Herr werden finde ich einen schwierigen Satz, weil wir haben keine dramatische Situation. Im Strafgesetzbuch steht drinne, das unter 21-Jährige, die zur Prostitution gezwungen werden automatisch in den Menschenhandelsparagrafen reinfallen. Das heißt, dort kann eine Ermittlung stattfinden. So schränken wir natürlich wieder die Frau ab 18 ein, wenn wir sagen ab, ab 21 ist die Prostitution erlaubt, darunter nicht.“

In MV herrsche also keine dramatische Situation vor; die Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 schränke zudem jene Frauen ab 18 ein. Eine vernünftige Einstellung von Frau Asbrock. Nicht so ganz klar ist mir aber der mittlere Teil ihrer Aussage, weil auch nicht ganz richtig. Denn im Paragraphen 232 „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ des Strafgesetzbuchs heißt es u.a.:

„Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt.“

Laut dem letzten Satz bedeutet das, wer über 18, aber unter 21 Jahre alt ist, der gilt erst einmal automatisch als Opfer von Menschenhandel. Dabei ist es egal, ob wirklich eine Zwangslage existiert, oder nicht.

Die nächste Frage des NDR-Moderators ist dann noch „besser“:

„In Schweden, gibt es ja die Situation, dass Freier zur Rechenschaft gezogen werden, sollten sie irgendwie in Zwangsprostitution verwickelt sein. […] Wäre das auch ein Modell für Deutschland?“

Da hat sich der gebürtige Duisburger wohl nicht richtig vorbereitet. Denn in Schweden steht der Besuch einer Prostituierten generell unter Strafe, ganz egal, ob die Sexarbeiterin ihre Dienstleistung freiwillig anbietet oder nicht. Hingegen wird in Deutschland diskutiert, dass Freier, die wissentlich eine Zwangsprostituierte besuchen, bestraft werden sollen. Wenigstens hält die Zora-Leiterin eine solche Gesetzesinitiative nicht für sinnvoll.

Objektive Berichterstattung schon von Grund auf nicht möglich

Breuners Aussage gegenüber Silke Kern „es ist schwer in das Milieu reinzukommen“, zeigt dann noch einmal die Paradoxie der Tagung auf. Denn wer das Milieu nicht einlädt, besser noch, wer das Milieu von Gesprächen ausschließt, braucht sich nicht zu wundern dass gewisse Erkenntnisse schwer zu gewinnen sind.

Aber ich stelle mir die Frage, warum Frank Breuner nur so einseitig berichtet, fragt und kommentiert. Warum thematisiert er durchgehend den Straftatbestand „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“? Warum wird weiterhin nicht korrekt zwischen Armuts- und Zwangsprostitution unterschieden? Das wird wohl an Breuners Vergangenheit liegen …

Denn Frank Breuner stand mal selbst im Fokus der Medien. 2012 gab es einen Fall vor dem Berliner Landgericht, in welchem gegen zwei 19- und 20-jährige Litauer Callboys wegen Mordes an ihrem Zuhälter ermittelt wurde. Und Breuner? Der soll ein „Liebesverhältnis zu einem der Angeklagten gehabt haben. Auch später noch stand er hinter und zu dem mutmaßlichen Mörder.

Vielleicht war genau diese emotionale Bande zu jenem ausgebeuteten und unterdrückten jungen Man aus Osteuropa ausschlaggebend für Breuners Umgang mit dem Thema. Nur warum setzt der NDR einen so vorbelasteten Moderator für die Berichterstattung in Güstrow ein? Das war ganz sicher nicht die richtige Entscheidung!

Bei der SVZ bleibt man weiterhin tendenziös

„Frauen wie Vieh verkauft“ titelte die SVZ nur einen Tag nach der Güstrower Fachtagung. Danach befinde sich die Rotlichtszene in Mecklenburg-Vorpommern im Wandel. Der Zuwachs von Frauen aus Südosteuropa stiege deutlich an. Während die Zora-Leiterin gegenüber dem NDR noch erklärte, dass die ausländischen Sexarbeiterinnen von überall her kämen, verortet der LKA-Ermittler Tom Winterfeldt gegenüber der SVZ die Nationalitätszugehörigkeit vor allem nach Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Mögen ja beide Recht haben, denn was heißt schon „deutlicher Zuwachs“ …? Statistiken kann man ja bekanntlich verschiedentlich auslegen.

Aber etwas seltsam, jedenfalls aus unserem (Rotlicht-MV) Blickwinkel, wird es im nächsten Abschnitt. Da heißt es:

„Nach Schätzungen des LKA bieten 400 bis 500 Frauen landesweit Sex für Geld an. 75 bis 80 Prozent der Prostituierten kommen aus dem Ausland. […] Auf Internetseiten wie „rotlicht-mv“ machen täglich 200 bis 250 Prostituierte aus dem Nordosten Werbung für sich“.

Woher die 250 täglich bei uns werbenden Damen kommen sollen, weiß ich nicht. So liegt die Anzahl bislang eher bei 170 bis 200. Selbst gehen wir zudem davon aus, dass ein Großteil der sich in Mecklenburg-Vorpommern verdingenden Sexarbeiterinnen bei bzw. über uns werben. Natürlich wissen auch wir nicht genau, wie viele Prostituierte insgesamt pro Tag/Woche ihre Dienstleistungen im Land anbieten. Aber 400 bis 500 sind es garantiert nicht.

Woher dann die Zahl? Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Frauen ja regelmäßig in andere Städte/Bundesländer weiterziehen, sowie immer andere temporär nach MV kommen. Somit ist eine Zählung für die Behörden schwierig. Oder das LKA zählt alle Hobby- und Gelegenheits“huren“ dazu. Nur warum? Klar gibt es Frauen und Männer, die ein paar mal im Jahr, vielleicht auch nur einmal, ihr Einkommen mit Sex gegen Geld aufstocken. Wie viele das sind, wissen wir nicht, weil jene Sexworker/innen nicht bei uns werben. Die findet man eher auf anderen Portalen. Allerdings müssen Gelegenheitsprostituierte nicht ihren täglichen Lebensunterhalt mit Sexarbeit finanzieren, wechseln nicht ihren Arbeitsplatz, arbeiten für gewöhnlich von zu Hause aus, für die ist das keine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Und: sie sind mehrheitlich deutsche Staatsbürger.

Wenn also unter 500 Prostituierten lediglich 250 Vollzeit-Tätige sind und der Rest primär aus der Bundesrepublik stammt, dann stimmt die Angabe/Schätzung „75 bis 80 Prozent der Prostituierten kommen aus dem Ausland“ hinten und vorne nicht. In meinem Kopf tummeln sich mal wieder etliche Fragezeichen.

Die Angabe zur Anzahl der landesweiten Etablissements sollte hingegen stimmen. So geht das LKA „von 116 Objekten mit etwa 200 Wohnungen“ aus. Dazu kämen noch 17 Bordelle. Gut, wenn alle zur Verfügung stehenden Zimmer permanent besetzt wären, und alle auch mit gleich mehreren Frauen (was hier und da schon der Fall ist) dann käme man auf 500 Frauen. Nur ist das nicht so.

Zurück zur SVZ …. Um die „Menschenunwürdigen Verhältnisse im Rotlicht-Milieu“ zu verdeutlichen wird der Vorfall von vor zwei Jahren, bei dem eine 17-jährige Frau aus einer Modellwohnung in Schwerin befreit wurde, beispielhaft in Szene gesetzt. Daher auch der Aufmacher des Artikels. Denn laut LKA-Bericht soll das damalige Opfer „wie Vieh“ an ihre Peiniger verkauft worden sein. Über den Fall „Viara A.“ wurde 2012 auch in der Zeitschrift der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern „Polizei-Journal“, Ausgabe 4 2013 (also aus dem 4. Quartal), berichtet (was ich erst heute entdeckte). Leider werden aber auch in dieser Publikation die gängigen, jedoch unbelegten Behauptungen verbreitet, wie „Zuhälter sind die eigentlichen Gewinner der legalisierten Prostitution“, „Ca. 400.000 Prostituierte in Deutschland“, „polizeiliche Zugänge ins Rotlichtmilieu in Form von Kontrollen sind ohne weiteres nicht mehr realisierbar“ oder „steigende Tendenz der organisierten Kriminalität“.

Menschenhandel in MV

Die SVZ informiert ihre Leser darüber, dass es 2012 neun Ermittlungsverfahren gab, die gegen Frauenhändler geführt wurden. 2013 ermittelte die Polizei in vier Fällen.

??? In meinem Beitrag >>“Journalismus auf Lücke” bei der Schweriner Volkszeitung?<< habe ich doch noch behauptet in beiden Jahren habe es keine Verfahren gegeben. Wollte ich über die Faktenlage hinweg täuschen? Mitnichten. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind die Straftatbestände „Ausbeuten von Prostituierten § 180a StGB“ (Schlüssel 141200), „Zuhälterei gemäß § 181a StGB“ (Schlüssel 142000), sowie Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 StGB (Schlüssel 236000) tatsächlich nicht separat angegeben. Der Leser muss in der Folge schließen, dass sie in MV also nicht vorkamen. Offensichtlich sind sie aber nur in den übergeordneten Kategorien zusammengefasst worden – z.B. in „Ausnutzung sexueller Neigungen“ (Schlüssel 140000) oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit (Schlüssel 230000). Im Fall der „Ausnutzung sexueller Neigungen“ wurde lediglich der Unterpunkt „Verbreitung pornografischer Schriften“ separat aufgeführt.

Hier bleibt festzustellen, dass, wenn die Fallzahlen zu gering sind, dann eine separate Betrachtung/Aufschlüsselung wohl nicht vorgenommen wird. Aha. Und das, obwohl ja die Fälle von Menschenhandel mit dem Prostitutionsgesetz drastisch zugenommen haben sollen?

Laut „Polizei-Journal“ wurde 2012 „vor dem Hintergrund einer anlassbezogenen Auswertung hinsichtlich bulgarischer Prostitution in Mecklenburg-Vorpommern im LKA M-V Abt. 4 ein Ermittlungskomplex „Bulgarien“ eingerichtet, mit dem hinreichende Erkenntnisse zu der Täterstruktur und den Opfern gewonnen werden konnten.“ Ein eigener „Ermittlungskomplex“ also. Aber dessen Erkenntnisse wurden medial bislang beinahe nicht verbreitet. Obwohl, im Ergebnis wurden ja auch „nur“ „25 Ermittlungsverfahren u.a. wegen Zuhälterei, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, jugendgefährdender Prostitution, Erpressung und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz geführt und zwei Haftbefehle vollstreckt.“

Laut Angaben, die man im Netz über/von „Zora“ findet werden dort im Jahr rund 30 Hilfesuchende beraten. Wie viele davon nun Opfer von „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ sind, wird daraus nicht ersichtlich. Immerhin berät die Stelle auch Opfer von Zwangsverheiratungen.

Verglichen mit der Masse an anderweitigen mehr oder minder schweren Straftatbeständen (bspw. wurden 2013 45.586 Fälle von Diebstahl in MV erfasst) sind 25 Ermittlungsverfahren wirklich wenig. Also wie man es auch dreht und wendet, ob es nun keine oder bis zu 10 Ermittlungsverfahren inerhalb eines Jahres gegeben hat, die Debatte um Sexarbeit und die gern postulierte Kriminalisierung der gesamten Branche nimmt regelrecht alberne Züge an. Leider…

Und warum nur wollen Behörden und Gesetzgeber keine Branchenvertreter mit ins Boot holen, wenn über Missstände aufgeklärt und diese behoben werden sollen? Eigentlich ist das ja genau so, als würden die Gespräche, Debatten und Entscheidungen anlässlich der landesweiten Werftenkrise ohne Mitwirkung der Betriebsräte, Gewerkschaften, Gesellschafter, Manager und Co. geführt werden. Warum darf das also beim Thema Prostitution ganz selbstverständlich so geschehen?

Und eines möchte ich abschließend noch einmal klar stellen: Ja, jedes einzelne Opfer von Menschenhändlern, Gewalttätern und Co. ist eines zu viel. Aber, dass aufgrund der polizeilich hierzulande erfassten Fälle Deutschland als Eldorado von Menschenhändlern bezeichnet wird, dass geht eindeutig zu weit. Das ist reine Agitation bzw. schlichter Aktionismus.

rmv

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