NRW: Runder Tisch Prostitution legt Abschlussbericht vor

„Zahlreiche Mythen, Klischees und Vorurteile stehen einer unvoreingenommenen Befassung mit der Thematik entgegen.“

„Prostitution ist ein Thema, das viele Menschen bewegt. Gleichwohl ist der öffentliche wie private Diskurs von Vorurteilen und Mythen bestimmt. Die mediale Darstellung bewegt sich zwischen Voyeurismus und Tabuisierung, Skandalisierung und Bagatellisierung. Fast regelmäßig findet eine Vermischung von Themen statt: Am häufigsten ist die pauschale Gleichsetzung von Prostitution mit Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung; aber auch Probleme wie sexuell übertragbare Krankheiten, Sucht oder mangelnde Integration nach Migration werden von vielen Menschen automatisch mit Prostitution verbunden. Auch wenn Prostitution nicht selten mit solchen Faktoren einhergeht, besteht dieser Zusammenhang nicht zwangsläufig. Trotz der veränderten Rechtslage durch das Prostitutionsgesetz von 2002, mit dem die „Sittenwidrigkeit“ abgeschafft wurde, hat sich die Debatte nicht wesentlich verändert; sie ist noch immer von einem moralisierenden Duktus bestimmt.“

So lautet ein Fazit des Runden Tisches Prostitution Nordrhein Westfalen. Über einen Zeitraum von vier Jahren haben rund 70 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis zusammen mit der Ministerialverwaltung die Thematik grundsätzlich aufgearbeitet. Der mehr als 90 Seiten lange Abschlussbericht wurde schließlich am gestrigen Mittwoch, dem 08.10.2014, der Öffentlichkeit vorgelegt. Und wie das obige Zitat schon vermuten lässt: Die Ergebnisse des Runden Tisches unterscheiden sich teils gravierend von den Ansichten, Verlautbarungen und Zielen der Bundesregierung (siehe Novellierung des Prostitutionsgesetzes).

Dazu erklärte auch die Leiterin des Runden Tisches, Claudia Zimmermann-Schwartz, dass jene zahlreich vorhandenen Mythen, Klischees und Vorurteile „einer unvoreingenommenen Befassung mit der Thematik entgegenstehen“.

Weitere Erkenntnisse des Gremiums (eine Auswahl):

– „Denn angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten, die sich hinter dem Begriff „Prostitution“ verbirgt, kann es nicht „die“ Prostituierte geben.“

– „Und die beklagten Phänomene wie rechtsfreie Grauzonen, ungeschützte, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und Übergriffe erwachsen erst aus Tabuisierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeit.“

– Über den Berufsverband Erotische und sexuelle Dienstleistungen: „Der Verband präsentiert sich mit hoch professionellem Anspruch als Anlaufstelle sowie fachliche und politische Interessenvertretung für Prostituierte.“

– „Eine selbstbestimmte Entscheidung für eine Tätigkeit als Prostituierte oder Prostituierter ist umso eher gegeben, als sie auf der Grundlage einer genauen Kenntnis der Bedingungen erfolgt: diese betreffen nicht nur die Rechtslage, also die Rechte und Pflichten von Prostituierten, sondern auch das jeweilige Segment und den spezifischen Arbeitsplatz. […] Am Runden Tisch wurde immer wieder deutlich, dass diese umfassenden Kenntnisse und Fähigkeiten in der gelebten Wirklichkeit nur selten vorhanden sind.“

– „Darüber hinaus deuten diese Erkenntnisquellen darauf hin, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen Prostitution tatsächlich nur gelegentlich ausübt…“

– „Für Beratungsstellen gestaltet sich gerade gegenüber dieser Zielgruppe (Anm: Angehörige der Minderheit der Roma…) der Zugang oft nicht einfach (Anm.: wegen der häufig bestehenden Sprachbarrieren, aufgrund des nicht selten vorhandenen Analphabetismus). […] Nachdem beobachtet worden war, dass die meisten Prostituierten auch dieser Zielgruppe internetfähige Smartphones besitzen und ihr Umgang damit sehr gekonnt und routiniert ist, werden nun drei neue Möglichkeiten des Zugangs entwickelt: Eine App für Sexarbeiterinnen soll niedrigschwellige Informationen in Form von Kurzvideos vor allem zum Gesundheitsschutz bieten („Sexworker Info-Clips“), ein GPS-WegweiserSystem zu Beratungsstellen und wichtigen Anlaufstellen führen, ein Beratungs-Chat die Möglichkeit einer Kurzberatung in Echtzeit eröffnen.“

– „Die Frage, wie eine bessere soziale Absicherung von Prostituierten erreicht werden kann, hat den Runden Tisch intensiv beschäftigt, ohne schon zu tragenden Lösungen zu kommen. Einigkeit bestand darin, die durch das Prostitutionsgesetz geschaffene Möglichkeit der Begründung eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses beizubehalten. Selbst wenn diese Option nur wenig Akzeptanz finde, stelle eine Rücknahme ein falsches politisches Signal dar.“

– „Um die Lebens- und Arbeitssituation von Prostituierten im Sinne einer größtmöglichen Selbstbestimmung zu verbessern, sieht der Runde Tisch an erster Stelle Ansatzpunkte im „Empowerment“ und der Professionalisierung. Repressiven Maßnahmen kommt allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zu.“

– „Allerdings stellte sie (Anm.: Vertreterin der Wissenschaft) fest, dass es bisher an einem auf Prostitution zugeschnittenen, präventiven, gewerberechtlichen Zulassungsinstrumentarium fehle, das auch aus dem bisherigen Regelwerk nicht herzuleiten sei. Die Gutachterin plädierte für die Schaffung entsprechender Vorschriften, um so die Durchsetzung gesetzlicher Bestimmungen wie Hygienerecht, Ausländer- und Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht oder auch Steuerrecht zu ermöglichen. Demgegenüber halten die Wirtschaftsressorts der Länder an ihrer Auffassung fest, dass die Gewerbeordnung kein geeignetes Instrument zur Verbesserung des Schutzes von Prostituierten ist. Sie sehen keinen gewerberechtlichen Handlungsbedarf, weder in Bezug auf die Ausübung der Prostitution, noch in Bezug auf den Betrieb von Prostitutionsstätten (Beschlüsse der Wirtschaftsministerkonferenz vom 18./19.6.2009 sowie 14./15.12.2009).“

– „Ob die Forderung nach einer Meldepflicht für Prostituierte, die in Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben tätig sind, angesichts der häufig angestrebten Anonymität und der hohen Fluktuation in diesen Häusern angemessen ist, wurde skeptisch beurteilt.“

– „Straßenprostitution regelt sich nicht von selbst. Ignorieren und passives Dulden sind auf Dauer genauso wenig sinnvolle Strategien wie räumliche Verdrängung der Prostitution und die Konzentration allein auf repressive Maßnahmen. Die in der Kommune bestehende Situation sollte vielmehr analysiert, gestaltet und im Rahmen eines Gesamtkonzeptes gesteuert werden. […] Ohne Aufklärung der Öffentlichkeit und Werben um Akzeptanz ist dieser Prozess nicht erfolgreich zu gestalten. Erforderlich sind eine Versachlichung des Themas und ein fairer respektvoller Umgang aller miteinander.“

– „So sprechen die Ergebnisse einer nicht repräsentativen Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) dafür, dass die Gefahr, an STI (sexuell übertragbare Infektionen) zu erkranken, für Sexarbeiterinnen nicht höher zu sein scheint, als dies in der Allgemeinbevölkerung der Fall ist. […] Nach dieser Studie ist die verbreitete Befürchtung, Prostituierte nähmen in jedem Fall eine Schlüsselposition bei der Übertragung von STI ein, nicht haltbar.“

– „Ein großes Problem in der gesundheitlichen Versorgung liegt in der fehlenden oder ungeklärten Krankenversicherung. […] So ist wegen ungeklärter Vorversicherungsverhältnisse in den Herkunftsländern meist der Zugang zur Gesetzlichen Krankenversicherung problematisch. Außerdem sind die finanziellen Mittel, um sich als freiwilliges Mitglied in der Gesetzliche Krankenvers icherung (GKV) zu versichern oder eine private Krankenversicherung (PKV) abzuschließen, in der Regel nicht vorhanden.“

„So hat NordrheinWestfalen zur Klärung ungesicherter Krankenversicherungsverhältnisse unter anderem gegenüber dem Bund die Forderung erhoben, ein Kompetenzzentrum auf Bundesebene einzurichten.“

– „Verpflichtende regelmäßige Untersuchungen widersprechen bereits dem Prinzip der Stärkung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, wie es erfolgreich in der HIV-Prävention seit Jahren angewandt wird. Zudem stellt eine Pflichtuntersuchung einen erheblichen Grundrechtseingriff dar, der nur unter besonderen Bedingungen gerechtfertigt sein kann. Die Sachverständigen wiesen darauf hin, dass bislang durch keine epidemiologischen Daten belegbar ist, dass die Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten durch eine solche Untersuchung eingedämmt werden könnte. […]“

– „Die am Runden Tisch gehörten Sachverständigen lehnten überwiegend eine rechtliche Verpflichtung zur Verwendung von Kondomen beim Geschlechtsverkehr ab, wie sie bereits in § 6 der Hygieneverordnungen der Länder Bayern und Saarland besteht. Diese sei nicht nur epidemiologisch kaum zu begründen, es fehlten darüber hinaus angemessene Kontrollmöglichkeiten. […] Als Alternative zu der Einführung einer Kondompflicht befürwortet der Runde Tisch ein Werbeverbot für ungeschützten Geschlechtsverkehr.“

– „Darüber hinaus wird in der politischen Debatte häufig argumentiert, durch das Prostitutionsgesetz und die damit einhergehenden strafrechtlichen Reformen sei nicht die Position der Prostituierten, sondern die der Zuhälter gestärkt worden. Deutschland sei damit zum Zentrum des organisierten Menschenhandels geworden. Für diese Behauptungen fand der Runde Tisch keinen Beleg. Sämtliche hinzugezogenen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten bestätigten, dass es keine empirisch verlässlichen Daten gibt, aus denen sich solche Zusammenhänge herleiten ließen.“

– „Ein Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, bezieht sich auf eine angebliche Erschwerung der Kontrollmöglichkeiten der Polizei durch das Prostitutionsgesetz und die begleitenden strafrechtlichen Änderungen; […] Auch diese Kritik ließ sich am Runden Tisch nicht erhärten.“

– „In der Gesamtschau aller Argumente lehnt der Runde T isch eine spezielle Strafvorschrift für Freier, die Dienste von Opfern von Menschenhandel in Anspruch nehmen, deshalb ab.“

– „Die Teilnahme am Verfahren ist freiwillig und beruht auf einer Vereinbarung zwischen Betreiberseite und dem jeweils zuständigen Finanzamt. Dementsprechend ist die Beteiligung unterschiedlich. Für das „Düsseldorfer Verfahren“ gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage.[…] Nach Erkenntnissen der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen nehmen an diesem Verfahren in Nordrhein-Westfalen rund 320 Betriebe teil.“

„In der Aussprache am Runden Tisch wurde deutlich, dass es weniger die materiellrechtlichen Grundlagen der Besteuerung sind, die auf vielfältige Kritik stoßen. Es sind die gewählten Verfahren, die als „Sonderbesteuerung für Prostituierte“ empfunden werden.“

„Neben dem im Bereich der Bundessteuern praktizierten „Düsseldorfer Verfahren“ steht die sogenannte „Sexsteuer“ im Fokus der Kritik.“

–> „Der Runde Tisch sieht die objektiven Schwierigkeiten, mit denen die Festsetzung und Erhebung von Steuern auf sexuelle Dienstleistungen verbunden sind: Neben der Tatsache, dass der Leistungsaustausch gegen bar unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, wirken sich soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung, hohe Mobilität, fehlende Rechts- und Verfahrenskenntnisse und Sprachbarrieren erschwerend aus. Die gegenwärtige Steuererhebungspraxis im Bereich der Prostitution ist unbefriedigend. Der Runde Tisch hält die Entwicklung eines bundesweit einheitlichen, transparenten, diskriminierungsfreien Besteuerungsverfahrens, das zugleich effektiv ist, für ein wichtiges Ziel.“

– „Auch wenn es Freier gibt, die ein Dominanzverhältnis gegenüber Prostituierten anstreben […], so kann dies nach übereinstimmender Einschätzung aller gehörten Sachverständigen nicht als Regelfall unterstellt werden. […] Statt generell in Prostitution ein Gewaltverhältnis Mann-Frau zu sehen, gelte es, die gegenseitigen Abhängigkeiten und Aushandlungsprozesse in den Blick zu nehmen.“

Wer den Abschlussbericht noch eingehender studieren möchte, der findet ihn in Gänze (als pfd) hier.

Im Krassen Gegensatz zu den Erkenntnissen des Gremiums stehen die nur wenige Tage zuvor publizierten (in einem Gastbeitrag auf vorwärts.de) Forderungen der SPD-Bundestagsabgeordneten Dorothee Schlegel. Wärend man am Runden Tisch um Objektivität, Unvoreingenommenheit und Wissenschaftlichkeit bemüht war, fordert Schlegel teilweise gar unter Bezugnahme eben jener kritisierten Mythen, Klischees und Vorurteile sowohl ein Sexkaufverbot als auch eine allgemeine Freierbestrafung. Daneben verortet sie die anhaltende gesellschaftliche Diskriminierung von Sexarbeiterinnen im Prostitutionsgesetz selbst. Zwar erklärt die Sozialdemokratin, dass es eine fehlende Definitionsabgrenzung von Prostitution und Zwangsprostitution gebe, allerdings vermischt sie beide Begriffe wieder, indem sie Behauptungen wie der Kampf gegen Zwangsprostitution sei seit 2002 erschwert worden aufstellt. Und wie eine Freierkriminalisierung den Prostituierten letztendlich helfen solle, lässt sie natürlich wie schon ihre Sinnesgenoss_innen komplett aus.

rmv

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