Internationaler Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Sexarbeiter*innen am 17. Dezember
Bericht von >>SeLA – Beratungsstelle für Menschen in der Sexarbeit<<
Sexarbeit ist auch 2021 stark von Tabuisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen. Nicht zuletzt der Umgang mit Sexarbeiter*innen während der Corona-Pandemiemaßnahmen zeigt, wie unsicher Gesellschaft und Politik mit dem Thema Sexarbeit sind. Um über Gewalt gegen Sexarbeiter*innen zu diskutieren, hilft es Sexarbeiter*innen nicht, wenn über ihre Tätigkeit per se als patriarchale Ausbeutungs- und Gewaltform berichtet wird. Die vielfach verbreitete Vorstellung, Prostitution finde überwiegend unter Zwang und Ausbeutung statt (Viktimisierung), macht es Sexarbeiter*innen besonders schwer, über alltägliche Gewalterfahrungen zu sprechen. Hier sollte der Diskurs langfristig die Lebensrealitäten aller Sexarbeiter*innen einbeziehen und anerkennen, dass die Entscheidung für die Tätigkeit in der Sexarbeit vielfältige Gründe hat. Und die sind fernab von patriarchalen Ausbeutungsformen zu finden. Das Thema strukturelle Gewalt, dazu zählen Diskriminierung, Stigmatisierung und Tabuisierung, erreicht eine Dimension, die bei der Berichterstattung über Prostitution wenig Beachtung findet.
Seit 2014 beraten die Sozialarbeiterinnen Nadine Herrmann und Sandra Kamitz in der Beratungsstelle für Menschen in der Sexarbeit (SeLA) in der Hansestadt Rostock Sexarbeiter*innen. Mehr als 400 Beratungen jährlich werden u.a. auch direkt an den Arbeitsorten wie Modellwohnungen und dem ErosCenter durchgeführt. Die überwiegend anonymen Beratungen sind an den vielfältigen Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen orientiert. SeLA unterstützt und begleitet parteilich Klient*innen bei Fragen zu ihrer Tätigkeit wie bspw. die rechtliche Situation durch das ProstituiertenSchutzGesetz, Fragen zu Sozialversicherungen und Steuerangelegenheiten, aber auch zu ganz persönlichen psycho-sozialen Anliegen. Die Unterstützungssuchenden sind vornehmlich nicht-deutsche Frauen*, die nicht in der BRD wohnhaft sind, hier aber auf selbständiger Basis eine reisende Tätigkeit ausüben.
Der niedrigschwellige Zugang zu Beratungsangeboten ist bei Ausübung der stark tabuisierten und stigmatisierten Sexarbeit besonders wichtig. Viele von SeLA‘s Klient*innen verheimlichen ihre Arbeit vor ihrer Familie und den Freunden, aus Angst verurteilt zu werden. Dies führt zu einer zusätzlichen Belastung im Alltag.
SeLA hat mit zwei Sexarbeiter*innen über das Thema Gewalt gesprochen.
Nicht über den Job reden können, ist Gewalt oder Warum es manchmal reicht, einen Tee bei SeLA zu trinken
Interview mit Katharina (Kathi) Pieris und Letizia Falkenberg zum 17. Dezember – dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen
Warum bringt Ihr Euch persönlich in Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen ein?
Kathi: Ich find das wichtig, dass die Leute, die die Möglichkeit haben, sich zu outen und ihre Stimme zu erheben und ihr Gesicht zu zeigen, genau das tun – für die Leute, deren Lebenssituation das nicht hergibt, das zu tun. Das heißt, die Starken müssen stark sein für alle, auch für die Schwachen.
Letizia: Ich bring mich ein, um klar zu machen, dass Sexarbeit einfach ein normaler Job ist und um das aus der Stigmatisierung rauszuholen. Einfach um zu zeigen, wir Sexarbeiter sind auch
einfach nur ganz normale Menschen.
Wo und wie begegnet Euch Gewalt an Sexarbeiter*innen?
Kathi: Da ich hauptsächlich im Internet mit anderen Leuten in Kontakt komme, begegnet mir Gewalt vor allem dort. Das Internet ist an sich kein rechtsfreier Raum, doch er stellt sich oft genauso dar. Das heißt, hauptsächlich empfange ich Gewalt durch Trolle oder durch Drohungen, die ich geschickt bekomme per Privatnachricht oder in den Kommentaren. Häufig wird Hass oder Hetze verbreitet. Aber ich sehe auch Falschinformationen als eine Form von Gewalt an Sexarbeiter*innen an, da Falschinformationen oder ein gewisses wording (Ausdruck) das Stigma einfach erhöhen. Denn Stigma ist Gewalt und alle die das fördern, ob bewusst oder unbewusst, tragen zu dieser Gewalt bei. Dazu gehören auch ganz viele politische Aussagen. Worte, die Politiker*innen verbreiten und damit Hass fördern. Im Realen, in meiner Arbeit empfange ich Gewalt durch meine privilegierte Position weniger als andere Kolleg*innen. Zum Beispiel, wenn ich mit einem Kunden in einem Treffen bin und der diskutiert mit mir über die Kondompflicht oder der zieht das Kondom ab. Das ist Gewalt, die ich erfahre.
Letizia: So, wie Du das schon gesagt hast, Kati, es gibt Gewalt von Seiten der Politik, durch Gesetzgebungsverfahren. Im Internet wird mir zum Teil die Stimme genommen. Und dass ich nicht offen über meinen Job reden kann, ist eine Form von Gewalt. Also, ich kann nicht offen hingehen auf ne Party. Der eine sagt, ich bin Zahnarzthelfer – und ich sag, ja, ich bin Callgirl. Das ist für mich ein Punkt, der sehr belastend ist. Und das geht sicher nicht nur mir so, sondern allen anderen Sexworker*innen auch, die nicht zu ihrem Beruf stehen können. Das ist echt echt anstrengend.
Wie geht Ihr mit diesem Tabu – und wie macht das die Mehrzahl Eurer Kolleg*innen?
Kathi: Also es gibt für mich verschiedene Methoden, damit umzugehen. Die erste: ignorieren, still und leise sein und das einfach hinnehmen. Das bietet sich manchmal an – vor allem im Internet, wenn da so Leute, Trolle Hass und Hetze verbreiten. Die werden durch eine Reaktion auf ihre Äußerungen nur noch stärker. Und dann gibt es Situationen, in denen laut sein die viel viel bessere Variante ist. die erfordert allerdings mehr Mut und mehr Rückhalt von anderen Personen. Es gibt einfach Dinge, die kann man nicht stehenlassen, so, wie sie gesagt oder geschrieben werden – da muss man einfach etwas gegen sagen. Ich bin mittlerweile Gottseidank in so einer Position, dass ich mir das rausnehmen kann zu sagen: guckt Euch das an, so geht’s nicht! So etwas macht man nicht, das tut weh, das ist respektlos, das ist gefährlich. Stigma tötet – und das bewusst zu machen, ist unglaublich wichtig. Ein anderer Umgang ist zum Beispiel dieser hier: In Interviews darüber reden, mit Kolleg*innen darüber reden, wie es ihnen im Alltag ergeht, wie sie damit umgehen. Einfach sagen, he, ich bin da, wenn du diesen Hass erlebst. Das von anderen zu erfahren, ist eben auch superwichtig.
Letizia: Genau. Mit anderen drüber reden, wo es geht und sinnvoll ist. Blöde Kommentare nicht einfach stehenlassen. Auch Kolleginnen unterstützen, wenn die z.B. gegen das Sexkaufverbot argumentieren und dafür beschimpft werden. Ich bin viel auf Twitter unterwegs – Kati, du ja auch. Und da zu sagen, sie ist nicht die Einzige, die das so sieht. Ich sehe das auch so und fünf, zehn, hundert andere auch. Das man sich auch vernetzt, ist wichtig. Zum Beispiel auch, um Kolleg*innen vor komischen Kunden zu warnen. Aber halt auch in Debatten reingehen und da unterstützen. Mein Problem ist das Stigma. Mein Problem ist, dass ich nicht drüber reden kann., mein Problem ist, dass ich mich nicht outen kann, weil ich ne schulpflichtige Tochter habe. Mein Problem ist, dass mein Mann eventuell berufliche Probleme bekommt, wenn bekannt wird, womit ich mein Geld verdiene. Obwohl das komplett legal ist! Ich zahle Steuern, Krankenversicherung, alles. Alles ganz normal. Aber ich kann nicht drüber reden.
Wie seid Ihr vernetzt und unterstützt – beruflich und privat?
Letizia: Bei SeLA in Rostock (erste Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen in MV) waren wir schon öfter. Um Kolleg*innen zu treffen. Einfach zum Quatschen, zum Fragenstellen, sich beraten lassen. Unterstützung… – also ich bin mittlerweile in meinem privaten Umfeld geoutet. Das macht es mir viel leichter, wenn man zumindest bei der Tochter, dem Mann oder den Eltern aufpasst, was man sagt und was nicht. Aber dann wird’s bei mir tatsächlich mau. Mehr Unterstützung ist nicht.
Kathi: Natürlich hab ich Kontakt zu SeLA oder zu Hydra, (Berliner Selbstvertretung von Sexarbeiter*innen), zum Berufsverband natürlich, wo man sich mit Kolleg*innen kurzschließen kann. Seitdem ich auf Twitter bin, hab ich viel Kontakt zu anderen Escorts. Das hilft mir oder hat mir sehr geholfen. Vor social media muss ich sagen, dass ich niemanden kannte, komplett alleine war. Das heißt, das bedeutet mir sehr viel, dass mir social media den Einstieg erleichtert hat. Nicht nur im Kontakt mit den Kunden, sondern auch den Kontakt mit Kolleg*innen erleichtert hat.
Habt Ihr auch Kontakte zu anderen Sexarbeiter*innen oder Unterstützer*innen hier vor Ort?
Kathi: SeLA ist der einzige Kontakt hier. Ich kenne zum Beispiel niemanden, der in Wohnungen arbeitet. Ich würde gern Kontakt knüpfen, auch wenn wir ganz unterschiedliche Dienstleistungen
anbieten. Nur ist es halt sehr schwierig – auf Twitter habe ich noch niemanden aus MV kennengelernt.
Welche Unterstützung wünscht Ihr Euch gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen?
Kathi: Unterstützung find ich total super. Ich fühl mich immer wohl, wenn ich zu Euch kommen kann und manchmal hab ich auch gar nicht viel zu erzählen, sondern das reicht mir, wenn ich einfach vorbeikomme und kurz nen Tee trinke. Dann fühle ich mich schon besser. Es gibt allerdings viel zu wenige Beratungsstellen. Also, es wäre sehr wichtig, dass es mehr Menschen gibt, die diese Dienstleistung und die Arbeitenden in dieser Dienstleistung unterstützen. Dass es mehr Fördergelder gibt für diese Beratungsstellen und für Projekte, die gegen das Hurenstigma arbeiten. Was wünsche ich mir noch? Ich würde mir vor allem Unterstützung von der Politik wünschen. Das ist das, woran es am meisten fehlt. Das würde sehr viel bringen – in den Köpfen der Leute, im Finanziellen für Projekte. Die Politik ist und bleibt der größte Angelpunkt, Einflusspunkt, den man haben kann. Und da ist halt einfach ein großes schwarzes Loch.
Letizia: Politik auf jeden Fall. Ich möchte gern auf mehr als 6 Prozent der Landesfläche arbeiten dürfen. Das wäre total toll. Und ich bin ja hier in Neubrandenburg. Also eine Beratungsstelle vor der Haustür wäre schon geil. Nicht immer nach Rostock fahren müssen, denn das sind für mich anderthalb Stunden. Flächendeckende Fachberatungsstellen, Psychosozialarbeit, Umstiegsprogramme für die, die die umsteigen wollen. Einstiegsberatung, damit man weiß, was auf einen zukommt in diesem Beruf. Das brauchen wir. Aber nicht diese Richtlinie, die Sperrgebietsverordnung. Die sagt, dass Sexarbeiter*innen in MV z.B. nur in Gemeinden mit über 15 000 Einwohner*innen arbeiten dürfen Was soll das? Wenn ich außerhalb von Neubrandenburg arbeite, mache ich mich sofort strafbar. Die Verordnung ist von 1974 – um Jugendliche und die öffentliche Ordnung zu schützen. Aber es läuft doch mehr sexueller Content im Nachmittagsprogramm, als von mir irgendwo sichtbar ist, wenn ich im Internet Kunden finde und mich mit denen in einer Wohnung oder einem Hotel treffe.
Kathi: Das sind einfach diese konservativen Werte, die ein Großteil der Gesellschaft verfolgt. Das – Prostitution – wollen wir nicht sehen. Und deshalb verstecken wir es einfach dort, wo wir es gut kontrollieren können. Und damit wird auch die Gewalt versteckt, die da stattfindet. Und wenn Sexarbeiter*innen Gewalt ausgesetzt sind, dann sollte man nicht die Sexarbeit verbieten, sondern etwas tun gegen die Gewalt. Und das tut man nicht, indem man Scheuklappen aufsetzt.
Wie beeinflusst dieses Tabu eurer Erfahrung nach Gewalt in der Sexarbeit?
Letizia: Ich merke, dass ich sehr, sehr vorsichtig bin, öffentlich über negative Erfahrungen mit Kunden zu reden. Weil es sofort heißt: Guck, der Job ist gefährlich. Alle Kunden sind gewalttätig. Das stimmt so nicht. Ich war vorher in der Gastronomie, Kellnerin. Glaub mir, der Job ist nicht nice. Wenn du nachts um eins von fünf angesoffenen Jägern an der Bar angebaggert wirst – dann bist du echt froh, dass du den Tresen dazwischen hast und guckst, dass du ja hinter bleibst. Darüber kann man öffentlich reden, aber wenn ich jetzt sagen, ein Kunde wollte kein Kondom benutzen oder wollte über den Preis verhandeln – dann wird das gleich verallgemeinert. Da ist kein gleicher Maßstab.
Was denkt Ihr über die Situation der Sexarbeiter*innen in MV?
Kathi: Ich kenne wie gesagt, nicht so viele Sexarbeiter*innen in MV. Aber ich kann über meine Situation reden. Und für mir ist in der Corona-Zeit mein Vertrauen in die Politik komplett abhandengekommen. Dass wir nicht arbeiten dürfen, dass uns nicht gesagt wird, warum wir nicht arbeiten dürfen und wann wir wieder arbeiten dürfen. Und dass, obwohl wir Hunderte von Nachfragen gestellt haben, keine einzige Antwort kam. Das hat mich dermaßen getroffen. Ich hatte ein so naives Bild von der Regierung, dass ich gedacht hab, wenn ich in Not bin und Fragen stelle, dass ich dann antworten bekomme. Dass es Lösungen gibt. Das ist nicht passiert und dass man uns so ignoriert hat, war ein krasser Schlag mit der Faust ins Gesicht.
Was braucht ihr, was brauchen Sexarbeiter*innen in MV, bundesweit, weltweit?
Letizia: Also in einer idealen Welt hätte ich gern ein anderes Männer- un d Frauenbild. Also ein Frauenbild, in dem sich Frauen sexuell ausleben dürfen. Und zwar nicht nur mit ihrem Ehemann, sondern so, wie es ihnen gefällt. Wenn man als Frauen mit mehr als fünf Männern etwas hat, gilt man als Schlampe. Männer dagegen sind nur toll, wenn sie ganz viele Frauen klarmachen und jede Frau kriegen. Das sind beides so toxische Bilder, die Frauen und Männern schaden. Und damit auch Sexarbeitenden. Also, dieses Recht auf Sex – egal, ob als One-Night-Stand, in ner Ehe oder in der Sexarbeit – das möchte ich gar nicht diskutieren müssen. Ich möchte einfach, dass es heißt: ok, Sexarbeit ist ein Job. Die Konditionen – Frauen und Männer werden respektvoll behandelt, sie werden so angenommen, wie sie sind. Männer müssen keine tollen Liebhaber sein, um tolle Männer zu sein. Wenn es Respekt gibt, vielleicht gibt es dann auch weniger Gewalt. Und Sexarbeit braucht Anerkennung. Das ist ein legaler Job. Trotzdem werden wir ausgegrenzt – z.B. bei Zahlungsdienstleistern. Wie sollen wir online arbeiten, wenn nach PayPal auch noch Visa- und Mastercard zumachen für Sexarbeiter*innen. Ich darf ja nicht mal privat ein Paypal-Konto haben.
Kathi: Mir ist mein ausschließlich privat genutztes Tinder-Konto gesperrt worden, weil ich jemandem erzählt habe, was ich beruflich mache. Eins möchte ich sagen: um gewaltfrei zu leben, brauchen wir mehr Rechte. Wir brauchen als Sexarbeiter*innen die Gleichstellung mit anderen körpernahen Dienstleistungen. Das kann nur die Politik machen. Wir brauchen die Polizei – nicht, damit sie uns Angst macht, sondern, damit sie uns schützt. Sobald wir uns auf unsere Rechte als Sexarbeiter*innen berufen können, bekommen wir einen anderen Stand in der Öffentlichkeit, werden anders gesehen und wahrgenommen. Das Tabu wird löchrig. Und damit sind wir weniger angreifbar. Ich weiß, dass Sexarbeit kein normaler Job ist. Keiner, den man mit anderen vergleichen kann. Ist aber nicht schlimm, da gibt es noch andere Berufe. Astronaut zum Bespiel ist ja auch kein normaler Beruf. Aber es ist ein anerkannter Beruf. Was ich noch sagen möchte: Nicht nur wir werden als Sexarbeiter*innen stigmatisiert, sondern auch unsere Kund*innen. Und ich möchte da ganz klar sagen, wenn unsere Kund*innen weniger stigmatisiert würden, dann würden sie sich wesentlich stärker für uns einsetzen. Das ist ganz wichtig, dass man das aus dem Dunkelfeld holt.
Denkst Du da auch an das sogenannte Nordische Modell?
Kathi: Also, ich hab das Gefühl, diejenigen, die jetzt das Nordische Modell fordern, wollten früher die Prostitution verbieten. Weil das aber nicht funktionieren würde, ist man ganz schlau und gibt vor, uns Sexarbeiter*innen zu schützen, indem man unsere Kund*innen kriminalisiert und Sexkauf verbietet.
Letizia: Also, Nordisches Problem geht gar nicht. Und es geht nicht, dass dazu nur Menschen zu Wort kommen, die ausgestiegen sind. Nicht aber die, die in der Sexarbeit tätig sind. Da wird
einfach über unseren Kopf hinweg diskutiert.
Kathi: Wir haben Probleme in der Sexarbeit. Weil wir ein Armutsproblem haben. Weil wir keine Rechte haben. Das Armutsproblem ist uralt. Und das wird man nicht los durch ein Nordisches Modell, durch das Verbot, Sex zu kaufen.
Worüber möchtet Ihr am liebsten reden, wenn Ihr über Sexarbeit redet?
Kathi: Darüber, dass es mein Traumjob ist. Ich hab mir diesen Job ausgewählt, obwohl ich so viele andere Dinge hätte tun können. Ich liebe da, was ich tue. Ich liebe es, neue Menschen kennenzulernen, ich liebe es, Persönlichkeiten zu entdecken, ich liebe es, Zuneigung zu schenken und ich liebe es auch Zuneigung zu bekommen. – Kommentar Letizia: Wie romantisch! – Ja! Aber ich will natürlich auch witzige Anekdoten erzählen, wie ich über meine eigenen Füße gestolpert bin beim Versuch, sexy die Dessous auszuziehen. Oder ich will sagen können, wie mich ein Kunde genervt hat – ohne gleich als Antwort zu bekommen: Na, dann mach doch den Job nicht. Ist ja schlimm genug, dass du Hure bist. Das würde einem, der im Büro arbeitet, nicht passieren.
Letizia: Sexarbeit ist für mich ein Job, mit dem ich in relativ kurzer Zeit viel Geld verdiene. Der mir viel Zeit lässt für meine Tochter. Der mir Zeit lässt zum Beispiel für Elternarbeit in ihrer Schule. Und momentan ist es der einzige Job, der passt. Ich hätte jetzt gar nicht die Kraft, 40 Stunden zu arbeiten. Sexarbeit ist nicht nur Schwarz-Weiß – hier Gewalt, da geiles Geschäft. Ich möchte die Vielfalt dazwischen.
Katharina/ Kathi Pieris, 29, lebt und arbeitet als Escort in Rostock. Letizia Falkenberg, 41, ist in Neubrandenburg zu Hause und arbeitet dort als Callgirl.