Sexsklaven hinter jeder Ecke – deutschlandweit

Wer sie nicht sieht, der guckt nicht tief genug in den Schatten

Hunderttausende unfreiwillig anschaffende Frauen soll es verschiedenen Quellen zufolge in Deutschland geben, sexuell ausgebeutet und versklavt. Eine enorme Dunkelziffer kommt natürlich noch dazu. Zahlen und Beweise gibt es natürlich keine, aber das braucht es ja auch gar nicht. Wenn Schwarzer, Solwodi, einzelne Kriminalisten und gar Politiker das sagen, dann ist es so. Da braucht man gar nicht widersprechen.

Aktuell machen gleich mehrere Schlagzeilen die Runde.

ILo veröffentlicht Studie zum Menschenhandel

Den Anfang macht eine veröffentlichte Studie der ILo (International Labour Organisation / Internationale Arbeitsagentur). Die Organisation geht von weltweit ca. 21 Millionen Zwangsarbeitern aus, rund 22 % (4,5 Mio) davon werden sexuell ausgebeutet. Zwar komme Zwangsarbeit am häufigsten in Asien vor, doch auch in Industrienationen und in der EU sei die Anzahl nicht zu unterschätzen. Die Studie unterteilt unseren Kontinent allerdings in „Zentral und Süd-Ost-Europa und GUS-Staaten“ sowie in „Industrieländer und die Europäische Union“. Danach lassen sich keine Nationen spezifischen Angaben machen, noch wären welche für Deutschland bekannt. Und dennoch heizt die Studie – trotz wenig aussagekräftiger Faktenlage – die hiesige Prostitutionsdebatte weiter an.

Die Fußball-WM in Brasilien – ein El Dorado für das Sexgewerbe

Weiter angefacht wird das Feuer durch die katholische Kirche. Zwar richtet sich der Blick des Vatikans auf Brasilien, aber auswirkungen hat es zumindest medial auch auf uns. Denn laut diverser Pressemeldungen habe das“ internationale Netz katholischer Ordensschwestern“ eine Kampagne gestartet, welche die brasilianische Bevölkerung für die Themen Menschenhandel und Prostitution sensibilisieren soll. Denn 2014 findet dort die Fußball-WM statt und … jetzt kommt’s … „Die Profite durch Prostitution und Ausbeutung von Menschen sind enorm und nehmen bei internationalen Events wie eine WM rasant zu“. Das behauptet zumindest Ordensschwester Gabriella Bottani. Weiter wird behauptet, dass schon bei der WM in Deutschland 2006 die Prostitution um 30 Prozent gestiegen sei, bei der WM in Südafrika 2010 habe der Anstieg bei 40 Prozent gelegen.

Erschreckend sind jetzt nicht diese eindeutig falschen Behauptungen an sich, ist man ja von der katholischen Kirche in puncto Sexualität einiges Abstruses gewöhnt. Schlimmer ist, dass viele deutsche Medien diesen Quatsch unkommentiert abdrucken. Denn trotz solcher und ähnlicher Prognosen, haben sich diese in der Vergangenheit nie bewahrheitet. Richtig ist, dass weder bei der WM 2006 in Deutschland, noch bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine, noch bei Olympia 2012 in London ein Anstieg des Sextourismus‘ verzeichnet wurde. Eher das Gegenteil war der Fall, denn die Einnahmen des Rotlichtgewerbes gingen im Schnitt zurück. In Südafrika indes ist Prostitution (im Gegensatz zu Deutschland, Ukraine, England, Brasilien) ausnahmslos illegal, die dortigen Huren sind den Restriktionen und Sanktionen der Behörden ausgeliefert und rechtlich schutzlos gegenüber Gewaltdelikten. Die Diskussionsgrundlage ist dort bereits eine völlig andere. Dennoch waren auch hier die Verlautbarungen bezüglich einer Sex-gegen-Geld-Hochkonjunktur nur heiße Luft.

Sex-Sklavinnen in Nordrhein-Westfalen

Gestern titelte die Westfalenpost „Warum Sex-Sklavinnen in der Schweigefalle gefangen sind“. Dem Artikel zufolge soll ein großer Teil der bundesweit 400.000 sexarbeiterinnen (30.000 in NRW) sich nicht freiwillig prostituieren. Obwohl die „Zahlen der durch die Polizei erfassten Opfer, der Täter und die Summe der beschlagnahmten Rotlicht-Erlöse“ laut Lagebild „Menschenhandel NRW 2012 seit 2011 sinken. Laut Zeitung seien sie „beschämend gering“. Landesweit wurden im letzten Jahr nämlich nur 71 Opfer erfasst. Wie es auf derwesten.de heißt, kenne das Landeskriminalamt nur „das Hellfeld“, wie groß das „Dunkelfeld“ sei wisse man nicht.

Aber jetzt mal langsam! Die Opferzahlen sind beschämend gering? Warum will man mehr Opfer? Weil sonst die Prostitutionsdebatte ad absurdum geführt würde? Oder weil man um die Masse an Opfern weiß, diese aber nicht „befreien“ kann? Ich glaube es wird ersteres sein.

Schauen wir uns alles mal genauer an: In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit einigen der wirtschaftlich und demografisch stärksten Ballungsräumen, etlichen Großstädten und insgesamt rund 17,5 Mio. Einwohnern, soll es rund 30.000 Prostituierte geben. 17,5 Mio. Einwohner: das ist beinahe ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung. Hingegen sind 30.000 nur ein Dreizehntel von 400.000. Gut, wir wissen (offensichtlich im Gegensatz zum Westfalenpost-Autor), dass es keine 400.000 Prostituierte in der Bundesrepublik gibt. Aber Redakteur D. Seher hätte bei seinem eigenen Zahlenhokuspokus ja selbst schon stutzig werden können. Wird er aber leider nicht.

Guckt man sich die Lagebilder „Menschenhandel NRW aus den Jahren 2011, 2012 und 2013 an, dann erfährt man noch ein paar ganz andere Zusammenhänge. So heißt es Bspw.:

„2012 führten die Polizei NRW und die Ordnungsbehörden insgesamt 927 Kontrollen durch. 2013 wurden polizeiliche und ordnungsbehördliche Kontrollen bei Prostitutionsstätten mit insgesamt 821 Einsätzen durchgeführt.“

Wenn man Bedenkt, dass während einer solchen Razzia nicht nur ein sondern etliche Etablissements aufgesucht werden, dann kann man definitiv nicht davon ausgehen, dass die Behörden keinerlei bzw. nur eingeschränktes Zugriffs- und Kontrollrecht besaßen. Also kann schon mal ausgeschlossen werden, dass man Menschenhändlern persé nicht habhaft werden kann. In Zahlen: 2012 gab es 81 und 2013 65 Verfahren. Das LKA sagte 2012 sogar selbst:

„Anzunehmen wäre, dass eine solche Kontrollintensität die Entdeckung von Fällen des Menschenhandels fördert. Die Zahl ermittelter Menschenhandelsfälle und -opfer ging dennoch erneut zurück.“

Von „beschämend gering“ kann also nicht die Rede sein. Aber anstatt sich zu freuen wird behauptet, es gäbe ein hohes (keine Zahlen) Dunkelfeld der Gewalt, „die Frauen hätten oft pure Angst und „sie haben auch wenig Vertrauen in die Polizei“. Letzter Punkt ist aber nicht weiter verwunderlich. Man stelle sich nur mal vor, wie dutzende uniformierte und bewaffnete Männer, in einer teils sogar fremden Sprache sprechend, das Schlafzimmer stürmen, in dem man gerade leicht bzw. unbekleidet Intimitäten austauschen will – und das mehrmals jährlich. Aber nein, das ist ja nur die Polizei, die darf das, da braucht man keine Angst und kein Unbehagen haben… Und wer sich dennoch unwohl und eingeschüchtert fühlt und das nicht einmal verbergen kann, der ist klar ein Opfer von Menschenhändlern.

Der nächste Satz entbehrt dann jeglicher Eigenlogik:

„Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Opfern und Tätern und der regelmäßig niedrige Bildungsstand der Opfer dürften ein Übriges dazu tun, dass auch künftig Prostitutionstätigkeit so gut wie nicht angemeldet wird. Insofern hat das Prostitutionsgesetz die soziale Lage der Opfer von Menschenhandel nicht nachhaltig verbessert/verändert.“ (Lagebilder „Menschenhandel NRW 2012)

Das ProstG richtet sich an Sexarbeiterinnen, die ihren Job eigenverantwortlich und selbstbestimmt ausüben wollen. Warum sollte sich ein Opfer von Menschenhändlern auch bei Finanzamt und Co. anmelden, geschweige dies können und dürfen? Für deren Rechtsschutz ist übrigens u.a. das Strafgesetzbuch verantwortlich und nicht das Prostitutionsgesetz. So ein Quark. Diese innere Unlogik geht 2013 aber noch weiter:

„Der Anteil der Opfer, die ihre Tätigkeit angemeldet haben, hat 2013 mit 8,5 % (11,6 %) einen absoluten Tiefststand erreicht. Dieser Trend ist seit 2009 zu beobachten, als der Anteil der angemeldeten Opfer von 46,8 % im Jahr 2008 auf 29,0 % fiel. Gründe für diese niedrige Quote sind auch 2013 nicht bekannt geworden.“

Eine sinvolle und häufig ausgelassene Erkenntnis taucht aber doch noch auf. Und zwar heißt es:

„Die erfolgreiche Eindämmung von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und seiner Ursachen ist aber weitgehend von nicht durch die Polizei zu beeinflussenden Faktoren abhängig. Generell dürften Maßnahmen zur Linderung wirtschaftlicher Not und Verbesserung aussichtsloser Lebenssituationen der Opfer in den Herkunftsländern (z. B. im Bildungswesen) am ehesten geeignet sein, junge Frauen vor den Versprechungen von Schleusern und Menschenhändlern zu wappnen. Hierzu sind in erster Linie Maßnahmen auf europäischer Ebene erforderlich.“

Hier wird endlich, wenn auch indirekt, gesagt, dass das deutsche Prostitutionsgesetz und die Legalisierung der Sexarbeit nich die eigentliche Ursache für den Anstieg der Armutsprostituierten ist. Ebenso kann eine Bekämpfung nicht mittels erhöhter Kontrolldichte, Restriktionen und Sperrbezirksverordnungen erfolgen.

Eine weitere interessante Erkenntnis aus dem Lagebild 2013 ist folgende:

„Wie 2012 stellte die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen mit 67,6 % (53,7 %) den größten Anteil der bekannt gewordenen Opfer.Die Gruppe der jugendlichen Opfer lag 2013 mit 11,3 % (absolut 8) auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Unter den Opfern befanden sich erneut keine Kinder.“

Auch hier geistern in den deutschen Medien ja teils völlig gegensätzliche infernalische Behauptungen herum. Ja, 8 sind immer noch 8 zuviel. Aber dennoch…

Eins habe ich noch ausgelassen. Warum könnten die Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen vielleicht noch ein „Problem“ mit dieser verhältnismäßig niedrigen Zahl der Verfahren haben? Das Geld! Denn bei ähnlicher Kontrolldichte haben die Behörden 2011 aus insgesamt 95 Verfahren (Anklage: Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung) noch Gewinne in Höhe von 131.630 Euro eingezogen. 2012 waren es dann nur noch 36.800 Euro und 2013 schlappe 13.000 Euro.

Bleibt nur zu hoffen, dass das Geld keinen Einfluss auf Entscheidungsprozesse bei der Polizei hat…

Was man abschließend aber immer erkennt, ist, dass vorhandene Zahlen zur Prostitution immer etwas komplett anderes aussagen, als der breite öffentliche Tenor. Menschenhandel wird zu Unrecht stets mit Prostitution gleichgesetzt und eine Debatte teils mit unlauteren Mitteln und persönlichen Überzeugungen geführt.

rmv

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