Stimmungsmache gegen das Prostitutionsgewerbe

Magazin „Der Spiegel“ gibt sich reiĂźerisch, tendenziös und polemisch

“Bordell Deutschland – Wie der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert” titelt das wöchentliche Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Das Heft, das bereits seit ein paar Tagen in Umlauf ist, hat in dieser Zeit schon etlichen Unmut auf breiter Front verursacht. Mit einiger Verspätung soll nun endlich auch in diesem Blog darĂĽber berichtet werden.

Was haben sich die Spiegel-Autoren und -Redakteure bei der Erstellung des Beitrags dabei gedacht? “Bordell Deutschland“ ist eine reiĂźerische Schlagzeile, wie man sie eher in billigen Boulevardblättern erwartet. Verleumderisch, verfälschend und schlicht unsinnig gibt sie doch nicht im Geringsten die Realität wider. Und so war wahrscheinlich auch die journalistische Arbeit der Autoren nicht auf das Thema Prostitution hin aufgebaut, also keine nötigen, umfangreichen Recherchen aus denen sich dann langsam ein Report ergibt. Vielmehr hat es den Anschein als stĂĽnde zu Anfang ausschlieĂźlich der Titel unabdingbar fest und auf diesen aufbauend wurden dann Fragmente aus Zitaten, Meinungsbildern, und Halbwahrheiten zusammengesucht um ein bereits in der Ă–ffentlichkeit bestehendes Bild ĂĽber Prostitution zu zeichnen, das schlicht als Hetzkampagne, Prostituierten-Stigmatisierung und Antidemokratisch zu bezeichnen ist.

Mehr noch ziehen sich ausschlieĂźlich die Begriffe Zwangsprostitution und Menschenhandel wie ein roter Faden durch den Text. Die Autoren Meyer, Neumann, Schmid, Truckendanner und Winter legen diesem einzelne erschĂĽtternde Fälle von Menschenhandel (4 sind es insgesamt, wobei eine der Frauen eine drogenabhängige Stricherin ist) zur Basis. Und diese vier Fälle stehen angeblich namensgebend fĂĽr ganzes Gewerbe. Warum hier wieder Menschenhandel synonym fĂĽr Prostitution steht, wissen nur die Autoren selbst. Am Ende kann man deren Arbeit nur als dilettantisch werten. In einem anderen Kontext und mit gänzlich anderer Konnotation wäre ein Artikel ĂĽber die Schicksale der vier Frauen sehr lesenswert, aber so …?

Die Experten, welche die Spiegelredaktion hier zu Wort kommen lässt, sind dann natürlich beinahe gänzlich solche, die sich, mitunter wirklichkeitsverdrehend, gegen eine legale Prostitution aussprechen.

Ich lasse jetzt mal die einzelnen Schicksale/die Geschichten weg und konzentriere mich nur auf die weiteren Behauptungen der Spiegel-Journalisten:

Auf Seite 58 wird im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes (in fetten Lettern samt Foto) folgendes ĂĽber Christine Bergmann (damals Bundesfamilienministerin), Felicitas Schirow (Bordellbesitzerin) und Kristin MĂĽller (damals Vorsitzende der Bundestagsfraktion BĂĽndnis 90/Die GrĂĽnen) gesagt:

„Drei Frauen in Partylaune, weil Männer in Deutschland endlich bedenkenlos in Bordelle gehen können“

Wie bitte? ReiĂźerischer und unwahrer geht’s ja kaum. Es ging dabei um die Aufhebung der Sittenwidrigkeit und die nun gesetzliche Anerkennung der Rechte der Prostituierten. Nicht um eine neue Bedenkenlosigkeit der Freier. Aber eine andere Aussage als eben jene getätigte wĂĽrde ja nicht ins Konzept „Staat fördert Frauenhandel“ passen.

Weiter gehts mit folgender, rein populistischen Falschaussage:

„Inzwischen sind viele Polizisten, Frauenorganisationen und Politiker, die Prostitution aus der Nähe kennen, ĂĽberzeugt: Das gutgemeinte Gesetz ist ein Förderprogramm fĂĽr Zuhälter und macht den Markt fĂĽr Menschenhändler attraktiver.“

Und auf Seite 59 heiĂźt es bezugnehmend auf eine Evaluation des Familienministeriums:

„Die Liberalisierung habe keine „messbare tatsächliche Verbesserung der sozialen Absicherung von Prostituierten bewirken können.““

Bedenkt man aber mal, dass sich die gemeine Berichterstattung stigmatisierend verhält, Behörden und Ämter von Stadt zu Stadt unterschiedliche Auslegungen der Rechtmäßigkeit sowie Steuerpflicht (Stichwort Vergnügungssteuer) von Sexarbeit haben und demzufolge die notwendige Unterstützung und Anerkennung für die Huren oft ausbleibt, ist obige Erkenntnis doch wenig verwunderlich.

Eine Hammeraussage folgt auf Seite 63:

„Belegt ist, dass ĂĽberdurchschnittlich viele Prostituierte als Kind unter Misshandlunge und Vernachlässigung gelitten haben. Befragungen ergaben, dass ein groĂźer Teil als traumatisiert gilt. Huren leiden sehr viel öfter als die Gesamtbevölkerung an Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen. Die meisten Prostituierten sind vergewaltigt worden …“

Das muss man jetzt mal auf sich wirken lassen. Woher kommen diese Behauptungen? Welche Studie, was fĂĽr eine Statistik liegt dem zugrunde? Die meisten Prostituierten sind also vergewaltigt worden. Was heiĂźt die meisten? 70 – 90 Prozent oder wie viele? Was muss das Geschlecht Mann doch fĂĽr ein diabolisches und gewalttätiges Naturell haben… Zu Beginn des Beitrags sprechen die Autoren ja von einer Gesamtheit von etwa 200.000 Prostituierten in Deutschland (Hier mal ein Lob, denn erstmals wird nicht von der ständig in Gebrauch befindlichen und rein fiktiven Anzahl von 400.000 Prostituierten gesprochen. Lob ende). Das wĂĽrde ja bedeuten, dass 140.000 (70%) und mehr dieser Frauen vergewaltigt wurden. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik von 2012 wurden im letzten Jahr insgesamt 8.031 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Sinne von Vergewaltigung und sexueller Nötigung erfasst. Allerdings gibt es hier selbstverständlicherweise keine Differenzierung nach Beruf der Opfer. Zudem: Wie viele Frauen werden während ihrer Ehe vergewaltigt? Muss die Ehe deshalb verboten werden? Eigentlich ja!

Und was heiĂźt hier Prostituierte? Offensichtlich werden alle Sexworkerinnen pauschal unter einen Hut gesteckt, keine Differenzierung zwischen Dienstleisterinen im Bordell, im Laufhaus, im Saunaclub oder im Appartement, ob auf dem StraĂźenstrich, in Wohnmobilen, in der Privatwohnung oder in dubiosen Hinterzimmern, ob selbständig (bzw. scheinselbständig), angestellt oder Gelegenheitsprostituierte, ob Callgirl, Nobel-Escort-Dame oder Domina… Warum auch? Die Meinung, dass alle Huren hilf- und wehrlos sowie Gewaltopfer sind, darf doch nicht aufgegeben werden.

Nachtrag (31.05.): Es gibt eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2003 mit dem Titel „Prostitution and Trafficking in Nine Countries: An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorde“. DafĂĽr wurden insgesamt 854 Frauen in neun Ländern befragt. Allerdings waren das in Deutschland, genauer gesagt in Hamburg, nur 54 Prostituierte. 34 der 54 Befragten gab danach an, schon einmal vergewaltigt worden zu sein. 54 Frauen, das ist jedoch weit entfernt, repräsentativ zu sein. Zudem wurden nur Frauen befragt, welche sich in einer Einrichtung fĂĽr Drogenabhängige bzw. in einem Programm, das fĂĽr jene eine beruflichen Rehabilitation anbietet, befanden. Einige der Frauen wurden auch von anderen Prostituierten vermittelt oder wurden aus der Lokalwerbung ausgewählt.

Hier passt ja ganz gut die nächste Behauptung bezugnehmend auf die Gesetzeslage und Haltung in Schweden (Seite 64):

„Prostitution sei Ausbeutung, so lautet grob vereinfacht, das Argument, es gebe immer ein Machtgefälle. Wenn Männer sich Frauen fĂĽr Sex kaufen könnten, zementiere das ein Frauenbild, das der Gleichberechtigung u. allen Frauen Schade.“

Ja der Mann als Täter und Gewalttäter. Unterschlagen wird natĂĽrlich ganz bewusst, dass etliche Freier eher zurĂĽckhaltend, und schĂĽchtern einer Prostituierten gegenĂĽbertreten, unzählige verhalten sich wertschätzend, viele sind ĂĽberaus devot, bei anderen ist es reies Machogehabe, weitere wollen nur ihre Lust befriedigen und sind dann auch gleich wieder weg etc.pp. Aber Medienwirksam sind ja Schlagwörter wie Gewalt, Machtgefälle, UnterdrĂĽckung oder Nötigung. In diesem Sinne wird auch des ehemalige, in die Negativschlagzeilen geratene Flatrate-Bordell „Airport Muschis“ in Berlin Schönefeld als Paradebeispiel fĂĽr alle in Deutschland existierenden Bordelle genommen.

Auf der selben Seite wird dann gleich dieses hier Kund getan:

„50 bis 90 Prozent der Prostituierten, so schätzt die Polizei, ĂĽben das Gewerbe nicht freiwillig aus.“

50 bis 90 Prozent. Aha! Dann kann ich ja gleich sagen 5 bis 95 Prozent. Also auf solch schwammiges und inhaltslehres Zahlenspiel braucht man nun wirklich nicht eingehen.

Wie zu Beginn meines Kommentars schrieb, hat der Spiegel-Artikel bereits etlichen Unmut auf breiter Front verursacht. Daher möchte ich jetzt nicht selbst weiter ausholen sondern verweise hier auf einige sehr informative und um Welten seriösere Zu-Wort-Meldungen anderer. Darin wird desweiteren sehr informativ auf die Ă„uĂźerungen der in „Bordell Deutschland“ zitierten Prostitutionsgegner eingegangen.

Dona Carmen

Die Prostituiertenselbsthilfeorganisation „Dona Carmen e.V.“ bezeichnet auf ihrer Homepage (hier) die Beiträge u.a. als „schäbigster Gesinnungs-Journalismus der niedersten Art“, als „Versuch der Stimmungsmache“ und schreibt Bezug nehmend auf die Behaupung Deutsche Ermittler hätten kaum noch Möglichkeiten, ĂĽberhaupt in die Bordelle hineinzugehen wodurch Deutschland zu einem „Zentrum der sexuellen Ausbeutung“ geworden sei:

„Das ist grober Unfug. Die Razzien- und Kontrolldichte ist im bundesdeutschen Prostitutionsgewerbe so hoch wie in keinem anderen Wirtschaftszweig. Ausweislich der seit ĂĽber zehn Jahren von Dona Carmen gefĂĽhrten Razzien-Statistik (vgl. www.donacarmen.de) wurden allein in den Jahren 2000 bis 2009 im Zuge von 223 GroĂźrazzien im bundesdeutschen Prostitutionsgewerbe in etwa 410 Städten und Gemeinden rund 4.000 Prostitutionsstätten und damit etwa 20.000 Frauen kontrolliert.“

Menschenhandelheute.net

Auch das kritische Online-Magazin zum Thema Menschenhandel, menschenhandelheute.net, äuĂźert sich hier. Unter dem Titel „Bordell Deutschland – Journalismus auf LĂĽcke“ schreibt Sonia Dolinsek:

„Andererseits hat dieses Prinzip der Forschung ja ein bekannter CSU-Politiker vorgemacht … Die Abschaffung des Tatbestandes der “Förderung der Prostitution” sei daran schuld, dass man jetzt nichts mehr gegen Menschenhandel und Zuhälterei tun könne. Dass es jedoch weiterhin ein Gesetz gegen Zuhälterei und eines gegen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gibt, halten die Autor_innen offenbar nicht fĂĽr erwähnenswert.“

„DarĂĽber hinaus wĂĽrde eine Gesetzesänderung im Bereich Prostitution die Aussagebereitschaft der Opfer nicht erhöhen. Hierzu sind Ă„nderungen an anderen Gesetzen nötig, z.B. beim Aufenthaltsrecht oder dem Opferentschädigungsrecht. Beide lassen die Autor_innen gänzlich unerwähnt.“

In puncto Polizeistaat: offensichtlich wünschen sich die Spiegel-Autoren ja, wie auch ihre Quelle, Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer (S. 58 unten), eine unbegrenzte Telefonüberwachung. Da heißt es ergänzend:

„Ganz gleich auf welcher Seite der oft hitzigen Prostitutionsdebatte man steht, Ăśbereinstimmung sollte bei einem Punkt herrschen: ein moralischer Dissens in der Gesellschaft ĂĽber das FĂĽr und Wider von Prostitution darf nicht zur Aushebelung von BĂĽrgerrechten und der Unschuldsvermutung fĂĽhren.“

Internet-law.de

Daneben muss der Beitrag „Der SPIEGEL und die hohe Kunst des Tendenzjournalismus“ von Fachanwalt Thomas Stadler auf dessen Blog hervorgehoben werden – bitte lesen. U.a. heiĂźt es darin:

„Der zentrale Kritikpunkt am Artikel des SPIEGEL ist aber ein anderer. Denn der Text befasst sich im wesentlichen gar nicht mit Zuhälterei, sondern mit dem, was man juristisch als Zwangsprostitution bezeichnet. Und an diesem Punkt ist die Darstellung des SPIEGEL geradezu grotesk falsch.“

„Da mit dieser Vorschrift gerade die sog. Zwangsprostitution – um die es im Artikel des SPIEGEL eigentlich geht – strafrechtlich erfasst wird, ist der gesamte Grundtenor des Spiegeltitels unrichtig. Eine seriöse Berichterstattung hätte vielmehr darauf hinweisen mĂĽssen, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Zwangsprostitution 2005 deutlich verschärft hat. Es kann also wahrlich keine Rede davon sein, dass der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert. Das Gegenteil ist vielmehr richtig.“

„Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb der SPIEGEL eine bekannte konservative, um nicht zu sagen reaktionäre, Position ĂĽbernimmt und sodann mit einer falschen Darstellung der Fakten untermauert. Geht es hier nur um den reiĂźerischen Aufmacher? Mit seriösem Journalismus hat das jedenfalls nichts zu tun. Das was der SPIEGEL hier anbietet, ist nichts anderes als Tendenzjournalismus in Reinkultur.“

Carmen

Ein gutes Schlusswort wie ich finde. Allerdings ist an dieser Stelle noch nicht Schluss, denn es gibt noch einen weiteren Beitrag in jenem Heft. Dessen Autor, Sven Becker, portraitiert unter dem Aufmacher „Dunkle Phansasien“ eine Berliner Escort-Dame. Intelligent, studiert, kultiviert, politisch engagiert und ĂĽberaus umtriebig in puncto Prostituiertenrechte (achja, schön ist sie auch noch) stellt Carmen ein Paradebeispiel einer Emanzipierten und selbstbewussten Sexworkerin dar. Nur gibt es ein Problem. So passt das doch nicht in das Spiegel-Meinungsbild. Fazit: Herr Becker beschränkte sich in seinem Geschreibsel vornehmlich auf Oberflächlichkeiten … Aber auch hier brauche ich nicht ausholen, weil es Carmen viel besser kann. Sehr Ăśberzeugend schreibt sie auf ihrem Blog ĂĽber das Zustandekommen des Artikels und ihre EntrĂĽstung aufgrund des Ergebnisses.

Zwar hat sich auf ihre Stellungnahme hin auch Herr Becker bereits im Netz geäußert/gerechtfertigt (hier), aber bekommt man bei jener Lektüre eher den Eindruck Becker sei ein Hase auf der Flucht, der sich drückt, Haken schlägt und am Ende die Hatz verliert, indem er sich nur noch im (verbalen) Todeskampf windet.

Hier noch einmal die erwähnten Reaktionen auf den Spiegel-Ausfluss “Bordell Deutschland”:

– Der Blogbeitrag von Carmen auf ihrer Seite courtisane.de (hier)

– sowie Sven Beckers Gegendarstellung (hier)

– Die Stellungnahme von Dona Carmen (hier)

– Sonia Dolinsek auf menschenhandelheute.net (hier)

– und Fachanwalt Thomas Stadler auf internet-law.de (hier)

Nehmt euch also ruhig mal ne Stunde Zeit und schaut euch die Beiträge an. Es lohnt sich!

rmv

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