Stoff, wie er im Buche steht – Ungarische Polizisten ermitteln illegal in Deutschland

Bordellbetreiber ausspieniert und angeklagt – Fall in Bremerhaven geht bis vor die Generalstaatsanwaltschaft

Prostitution ist in Ungarn seit 1999 legal aber stark reguliert, zumindest auf dem Papier. In der RealitĂ€t ist jedoch eher das Gegenteil der Fall. Denn Sexarbeiter_innen werden vor allem durch ein 2012 zusĂ€tzlich Inkraft getretenes, Ă€ußerst repressive Gesetz schikaniert und in die IllegalitĂ€t gedrĂ€ngt – insbesondere seitens der StĂ€dte und Kommunen sowie der Polizeibehörden. Letztere haben damit noch mehr direkte Befugnisse erlangt und können nun direkt Geldstrafen verhĂ€ngen, ohne den bisherigen Weg ĂŒber das Gericht.

Der Betrieb von Bordellen und einschlĂ€gigen Etablissements aber auch die Vermittlung und UnterstĂŒtzung von Prostituierten ist in dem an Österreich grenzenden Binnenstaat indes grundsĂ€tzlich verboten. Wenngleich es dennoch hier und da (bspw. in Budapest) einige Absteigen gibt.

Die ungarischegehe Justiz darf sogar im Ausland begangene Handlungen von ungarischen StaatsbĂŒrgern strafrechtlich ahnden (laut Paragraf 3 des ungarischen Strafgesetzbuchs). Über einen solchen Fall berichtete gestern die Onlineausgabe der â€žNordwest Zeitung“. Hier soll es sogar soweit gekommen sein, dass Strafverfolgungsbehörden des EU-Mitgliedstaates illegal in Deutschland ermittelt haben. Mindestens zwei ungarische Polizisten haben danach seit 2013 eine in Bremerhaven ansĂ€ssige Bordellbetreiberin bespitzelt. Prostituierte vor Ort wurden befragt und mussten ihre Personalien vorzeigen. DafĂŒr gibt es aber ĂŒberhaupt keine Befugnisse. Es sind sogar abgehörte Telefonate dokumentiert, teilte die NWZ mit. Als die Betroffene davon Wind bekam, wurden umgehend ein Anwalt eingeschaltet. Der Fall ging schnell bis zur Berliner Generalstaatsanwaltschaft.

Was sich wie eine Kriminalgeschichte anhört, hat in der RealitĂ€t leider keinen Unterhaltungswert. Weil gegen die Vermieterin im eigenen Land ein Strafverfahren lĂ€uft – wegen einer „Tat“, die in Deutschland keine ist – kann sie nicht in die Heimat, zu ihrer Familie reisen. Ihre Freiheit stĂŒnde auf dem Spiel.

Hier geht es zum kompletten Artikel auf nwzonline.de: â€žPolizisten Aus Ungarn Unterwegs. Illegale Ermittlungen in Bremerhavens Rotlichtviertel?“


Hintergrundinfos:

Zitate zum regulatorischen bzw. abolitionistischen Gesetz in Ungarn:

„In Ungarn ist Prostitution seit 1999 legal, darf aber nur in genehmigten Zonen ausgeĂŒbt werden. Bis jetzt gibt es aber keine legalen Rotlichtviertel, da sich die BĂŒrgermeister gegen deren Einrichtung wehren. Die Prostitution in Ungarn ist somit nach dem Gesetz an sich legal, kann aber in der Praxis nur illegal ausgeĂŒbt werden. GeschĂ€tzt wird, dass es in Budapest 500 illegale Bordelle gibt sowie in ganz Ungarn 100.000 Prostituierte. GemĂ€ĂŸ einem Gerichtsurteil des ungarischen Komitats Baranya im Jahr 2006 mĂŒssen Sexarbeiterinnen ihre Einnahmen aus der Prostitution versteuern.“

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Prostitution_nach_L%C3%A4ndern

„Die Leiterin der Organisation fĂŒr den Interessenschutz der Ungarischen Prostituierten (MPÉE), Ágnes Földi, hebt hierbei vor allem die ,,völlig absurde Gesetzeslage“ hervor. Laut Gesetz dĂŒrften FreudenmĂ€dchen oder Stricher beispielsweise nur an öffentlichen PlĂ€tzen anschaffen, die mindestens 300 Meter vom Wohnort eines Mitarbeiters einer diplomatischen Vertretung entfernt sind. Ungehalten stellt Földi die Frage: ,,Woher zum Teufel soll eine Prostituierte wissen, wo zum Beispiel der GĂ€rtner des mongolischen Botschafters wohnt, um sich 300 Meter von dessen Wohnung entfernt hinzustellen?“ [
] Im Gesetz heißt es ferner, dass Sexarbeiter nur in einer Entfernung von 50 Metern zu Hauptstraßen (fƑĂșt), 100 Metern zu Bundesstraßen (orszĂĄgĂșt) und 300 Metern zu öffentlichen Institutionen auf den Strich gehen dĂŒrfen. Werden die ,,schikanösen Vorschriften“ nicht eingehalten, mĂŒssen die Prostituierten mit Geldstrafen von 10.000 bis 150.000 Ft (40 bis 600 Euro) oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 60 Tagen rechnen, erklĂ€rt Földi.“

Quelle: http://www.budapester-archiv.bzt.hu/2008/01/21/prostituierte-in-ungarn/

„Prostitution ist legal, wird aber bestraft“ – Ein Beitrag der ungarischen Zeitung ORIGO (auf ungarisch)

„Seit der letzten GesetzesĂ€nderung ist es an der Zeit, das neue System zu bewerten. Eine zusammenfassende Studie wurde durchgefĂŒhrt ĂŒber die Erfahrung und die aktuelle Situation der Vereinigung zur Förderung von Sexarbeiterinnen.“

Quelle: http://www.origo.hu/gazdasag/20150302-legalis-de-megis-buntetik.html

Zahlen zur nicht verifizierbaren Anzahl von Prostituierten in Ungarn:

Ähnlich wie auch in Deutschland ist es nicht klar, wie viele MĂ€nner und Frauen sich in Ungarn prostituieren. Die Zahlen gehen dabei enorm auseinander. Dabei sind Angaben ĂŒber 10.000 (Rimma Dalos: „Menschenrechte von Frauen: Das Problem der Prostitution in Ungarn und zur Situation der Romafrauen“ pdf), 20.000(http://www.budapester-archiv.bzt.hu/2008/01/21/prostituierte-in-ungarn/) bis hin zu 100.000 (https://tsarchive.wordpress.com/2005/09/27/meldung159338/) zu finden.

Gesetze

Das Gesetze von 2012 ist ĂŒber folgenden Link zu finden (Seite auf ungarisch): https://net.jogtar.hu/jr/gen/hjegy_doc.cgi?docid=A1200100.TV

rmv

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