Was hat ein Schweizer Fachverband mit einer Göttin gemein?

Schweizer Flagge

Ein flüchtiger Blick in unser Nachbarland und ins orientalische Altertum

Seit knapp einem halben Jahr gibt es ihn: den Verband Erotikbetriebe Schweiz. Mit Beginn der Pandemie und den damit einhergehenden Bordellschließungen fanden sich in unserem Nachbarland einige Studios, Betreiber_innen und Portale in Form einer „Interessensgemeinschaft Erotikbetriebe“ zusammen. Im September 2020 wurde dann daraus ein offizieller Zusammenschluss.

Seither informiert der Verband auf seiner Webseite regelmäßig über aktuelle Enwicklungen, tritt als Interessensgemeinschaft geschlossen an die Politik heran, hat ein eigenes Gütesiegel auf den Weg gebracht und fordert von seinen Mitgliedern einheitliche Standarts. Was ein Verband halt so macht….

Ob es etwas bringt, wird sich mit der Zeit zeigen. In Deutschland gibt es ja bereits verschiedene Interessensverbände. Deren Lobbyerfolge sind dennoch erschreckend unbedeutend. Insbesondere weil Abolitionist_innen stets lauteter und erfolgreicher schreien. Weil einzelne Politiker_innen mit populistischen und verläumderischen Ressentiments mehr bewirken als um Transparenz bemühte Verbandsvertreter. Weil Stereotypen, Meinung und Gefühl beim Thema Prostitution mehr Gewichtung bekommen als Fakten und ehrlich angegangene Rechte von SDL.

Der Verband Erotikbetriebe Schweiz jedenfalls fordert von seinen Mitglieder, Hygiene- und Schutzkonzepte strikt einzuhalten, faire Arbeitsbedingungen zu bieten, Zwangsprostitution und Zuhälterei klar entgegenzutreten, Schweizer Gesetze einzuhalten usw.

Natürlich durfte eine „Schutzpatronin“ nicht fehlen. Hier zeigten sich die Gründungsmitglieder gleich mal besonders Kreativ. Sie haben sich „Ishtar“ zu eigen gemacht. Und mahl ehrlich: besser geht es gar nicht. Ishtar (akkadisch Ištar) war die wohl wichtigste babylonische Göttin. Sie wurde als Morgen- als auch als Abendstern, als Kriegsgöttin und als Personifizierung des sexuellen Begehrens verehrt. Als Symbol der Göttin galt der Löwe. Sie selbst symbolisierte in Ihrer Stellung im Götterpantheon insbesondere auch das Recht der Frau auf Selbstbestimmung.

In einem kritischen taz-Artikel zur Berliner Ausstellung „Babylon. Mythos und Wahrheit“ (aus dem Jahr 2008) wurde Ishtar so beschrieben: „Sie verkörperte Hilfsbereitschaft ebenso wie Blutrünstigkeit, Mut ebenso wie Furcht, Mitgefühl wie Zorn und unversöhnlichen Hass, dazu die ungebundene Sexualität und sprengte damit die herkömmlichen Geschlechterrollen. Sie galt als grausam, aber auch als ruhm- und erfindungsreich, als Modell für Ungehorsam und Unabhängigkeit.“

An dieser Stelle kommt ein kleiner Zeit- und Themensprung – von der Göttin hin zur Stadt, deren Haupttor sie Schmückte, also Babel oder Babylon. Mit Aufkommen des Christentums manifestierte sich nämlich die biblische Allegorie von der „Hure Babylon“. Eine Allegorie auf die Abkehr von Moral und Glauben hin zu Götzendienst, Hurerei und Sündenhaftigkeit. Aber weder Ishtar noch das altertümliche Babylon sind damit gemeint. Denn unter Historikern wird als sehr wahrscheinlich angenommen, dass damit nicht Babylon sondern das antike Rom gemeint ist.

Warum das thematisiere ich es also? Ganz einfach, weil es passt und sich Parallelen finden lassen. Denn im Gegensatz zur wissenschaftlichen Meinung verbreiten einzelne Glaubensgemeinschaften (Sekten) wie z.B. die Zeugen Jehowas ihre eigene Sicht der Dinge und das noch heute. Diese Geschichte vom Sündenfall verorten sie ganz klar in der mesopotamischen Weltstadt. Ein Sündenfall, der erneut auf das Weibliche heruntergebrochen wird. Für jene Gruppierungen gilt die Hure Babylon als fester Bestandteil ihres Glaubenssystems, wonach andere Kulturen, Religionen und Lebensweisen als „Falsche Religionen“ gesehen werden. Die Bibelferse worttreu auslegend verantworte Babylon den Tod jener, „die auf der Erde hingeschlachtet worden sind“ (Offenbarung 18:24). Und sie sehen in ihr den personifizierten Grund für Krieg und Terrorismus. Personifiziert in Person einer Frau „in Purpur und Scharlach gehüllt und war mit Gold und kostbaren Steinen und Perlen geschmückt“ (Offenbarung 17:4).

Allein der Begriff „Hure“ ist bis heute extrem negativ konnotiert. So sehr, dass all die herabwürdigen Ressentiments weiterhin gelten, egal welche neuen Bezeichnungen für diesen oder ähnliche Berufsstände erdacht werden.

So jetzt ist der Kreis gezogen und eine Parallele konstruiert. Also von einem „Verband Erotikbetriebe“, der sich mit einer Göttin schmückt, die in puncto Macht, Kraft und Selbstbestimmung mit Leichtigkeit ihr römisches Pendant (Venus) übertrifft, hin zum gesellschaftlichen Gegenpart, bestehend aus jenen extrem konservativen und durchweg patriarchalisch geprägten Gruppierungen, die allein sich selbst die Deutungshoheit von Moral und Sexualität zusprechen und Frauen gleichwohl als wehrloses und unmündiges Wesen als auch als Grund bzw. Auswuchs des Sündenfalls deuten.

Wäre nur noch passender, wenn nicht ein Betreiber_innen-Verband sondern eine SDL-Verband „Ishtar“ bei sich trüge.

rde

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