Wie der SWR über Sexarbeit berichtet

Audio-Beitrag aus dem Jahr 2013 nur oberflächlich gelungen

Im vorigen Beitrag ging es mir um die SWR-Reportage „Verkaufte Frauen – Das boomende Geschäft mit der Prostitution“ aus der Reihe „betrifft“. Diese hat, trotz einiger Kritikpunkte, einen mehrheitlich positiven Eindruck hinterlassen. Wer im Netz nach diesem Bericht sucht, der findet auch noch einen viereinhalb-minütigen Film mit dem Titel „Verkaufte Frauen“ in der Landesschau Rheinland-Pfalz. Zwar ist dieser Beitrag nur ein Ausschnitt aus der „betrifft“-Reportage, allerdings wurde er bereits vor deren Ausstrahlung veröffentlicht. Vielleicht beinhaltet er auch deshalb Material, dass in der langen Version nicht vorkommt – Gründe unbekannt. So wird im Anschluss an das erste Interview mit der Sexworkerin „Sarah“ hier noch eine rumänische Prostituierte (Gesicht und Stimme aber unkenntlich gemacht) zu Wort kommen gelassen. Auch diese erzählt von ihrem selbstbestimmten und frei gewählten Job. Leider können Kritiker in diesem Fall nur den Worten glauben schenken – oder auch nicht. Hingegen ist es Sarah anhand von Mimik, Gestik und Stimmlage klar anzusehen, dass sie ihre Arbeit freiwillig und in weiten Teilen gerne tut.

Ein weiterer Unterschied ist mir in dem Beitrag aufgefallen, da hier folgender Satz fällt: „Jede Kleinstadt hat mittlerweile ihren Straßenstrich.“ Vielleicht ist den Filmemachern nachträglich aufgefallen, dass diese Aussage komplett falsch ist, woraufhin sie später gestrichen wurde.

„Prostitution – Wer profitiert vom Sex-Geschäft?“

Eingehender will ich hier aber auf einen schon einige Monate alten (vom Dezember 2013) Audio-Beitrag unter dem Titel „Prostitution – Wer profitiert vom Sex-Geschäft?“ eingehen. Dieser in der SWR Landesschau veröffentlichte Beitrag von Redakteurin Stefanie Meinecke hat nämlich so seine Tücken. Beim oberflächlichen Hören könnte man meinen, dies sei eine gut gemachte Auseinandersetzung mit dem Thema. Verfolgt man die Ausführungen Meineckes aber genauer, dann entpuppen sich diese und die ihrer Interviewpartner zu Teilen gar als krude und unausgegoren. Auf jeden Fall merkt man, dass hier bereits eine vorgefertigte Meinung zur Sexarbeit bestehen muss. Meine Kritik richtet sich gegen folgende Aussagen:

– Nur 44 Prostituierte seien bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet

Stefanie Meinecke vergisst hier aber – wie es so viele Journalisten und Politikern tun – genauer zu ergründen, warum dies so ist. Denn auch wenn es noch eine große Zahl an Sexarbeiterinnen gibt, die nicht gemeldet sind, sind jene, die sich registrieren weit mehr als 44. Aus nachvollziehbaren Gründen geben die wenigsten öffentlich an, Prostituierte zu sein. Gemeldet sind sie dann z.B. als Masseurinnen, Tänzerinnen, etc.pp.

– 400.000 Prostituierte gebe es in Deutschland. „Die Welt am Sonntag will herausgefunden haben, dass es nur 200.000 Frauen sind, die sich hierzulande prostituieren. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer wiederum spricht von 700.000 Frauen.“ Dies wäre ein Beweis dafür, das belastbare Zahlen schlichtweg nicht existieren.

Hier hat Meinecke zwar recht, allerdings kann man sich fragen, warum sie nicht näher auf die Zahlen eingeht. So erwähnt sie löblicherweise ja sogar, dass die erstgenannte Schätzung von Ende der 80er Jahre, von „Hydra“, stammt. Aber, dass sich sowohl Hydra als auch viele weitere Prostituierten-Beratungsstellen heute von dieser Hochrechnung distanzieren und diese als viel zu hoch betrachten, erwähnt Meinecke nicht. Mit ihrer Wortwahl drückt sie zudem aus, dass sie die (wahrscheinlich sehr realistische) Schätzung der „Welt“ nicht Glauben schenken mag. Und dass die Behauptung Schwarzers beinahe einhellig als abstrus befunden und daher abgelehnt wird, unterschlägt sie ebenfalls. Schade eigentlich, wäre mehr drin gewesen.

– Wortmeldung eines Experten des LKA Baden-Württemberg, Herrn Sigurt Jäger: „Wir gehen von einem großen Dunkelfeld aus. Das liegt daran, dass unser Zugang zur Szene durch das Prostitutionsgesetz erschwert wurde. […] Weitergehende Ermittlungen gegen Menschenhändler und Zuhälterstrukturen sind jetzt so nicht mehr möglich.“

Ja nee is klar, Wieder dieses ominöse Dunkelfeld. Und der zweite Teil ist ja kompletter Nonsens. Wenn man bedenkt, dass im Rotlichtgewerbe jährlich tausende Razzien und Kontrollen durchgeführt werden. Allein in Nordrhein-Westfalen waren es im Jahr 2013 genau 821 Einsätze. Aber da in vielen Bundesländern die Zahl der durchgeführten Razzien statistisch nicht erfasst wird, sind darüber kaum genaue Angaben zu machen. Sicher ist aber, dass – so heißt es im Bundeslagebild Menschenhandel von 2012 – 491 Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung abgeschlossen wurden. Der gleiche „Experte äußert an anderer Stelle:

„Was uns noch nicht vorgekommen ist, ist tatsächlich die Prostituierte, die durch diese Arbeit Reichtum anhäufen konnte und jetzt in Saus und Braus lebt“

Jetzt ist aber mal genug! Was ist denn das für eine Argumentationsweise. Ich kann doch einer Arbeit nicht deren Legitimität absprechen, nur weil man damit nicht in die Situation kommt in „Saus und Braus“ zu leben. Ich habe auch noch keine Gebäudereinigerin, Bergwerker, Metzger oder Altenpflegerin kennengelernt, die „durch diese Arbeit Reichtum anhäufen konnte und jetzt in Saus und Braus lebt“. Und auch in diesen Fällen sind es wenn dann eher die Chefs und die dahinter stehenden Großunternehmer, welche finanziell profitieren. So funktioniert eben Marktwirtschaft. Aber klar, dass ein Herr Kriminaloberrat davon wenig Ahnung hat, ist er doch als Beamter lebenslang finanziell hervorragend abgesichert.

Mag Herr Jäger in seiner Arbeit sicherlich hoch qualifiziert und kompetent sein, in seiner Argumentationsweise ist er es nicht.

– Ähnlich auch Stefanie Meineckes Kommentar: Jürgen Rudloff macht ein Großbordell nach dem anderen auf. … Prostituierte machen Rudloff zum reichen Mann.

Das ist an Populismus ja kaum zu überbieten. Vor allem, weil hier keinerlei Zahlen genannt werden… Und ja, er mag dadurch reich geworden sein. Reich sein allein ist aber keine Strafe, oder doch?

– Der Augsburger Kriminalhauptommissar Helmut Sporer sagt: „die typische Frau im Bordell heutzutage ist 18 bis 20 Jahre alt“.

Interessant. Nur was heißt bei ihm Bordell? Zählen da auch die Modellwohnungen und Clubs dazu? Wenn ja, dann kann die Behauptung nicht stimmen. Aber auch sonst ist sie stark anzuzweifeln. Mehr noch, beschränkt er sich auf die Augsburger Bordelle oder fasst er alle Baden-Württembergischen oder gar alle deutschen Etablissements zusammen? Auch dass Sporer in diesem Zusammenhang permanent von „Mädchen“ spricht, ist unverschämt, suggeriert es doch dem Zuhörer, bei Prostituierten handele es sich stets um Minderjährige. Der Rest seiner Aussagen ist nicht besser:

– Er spricht von mehrheitlich negativen Auswirkungen des ProstG. „Frauen sind die Verlierer des Gesetzes.“

Hier verkennt Sporer zum Einen Zusammenhänge von bundesdeutscher Gesetzgebung und internationalen Entwicklungen. Ursachen und Wirkungen werden hier pauschal so gedreht, wie es ihm passt. Dass neben dem Prostitutionsgesetz aber auch das Strafrecht, Baurecht und diverse länderbestimmte Verordnungen greifen, lässt er natürlich aus. Ebenso, den Vergleich mit den Verhältnissen vor 2002. Außerdem unterscheiden sich in diesem Punkt die Aussagen von Polizeibehörden und Prostituiertenverband deutlich.

Im Weiteren kommt Sabine Constabel, Leiterin der Stuttgarter Beratungsstelle „La Strada“ zu Wort. Wie nicht anders zu erwarten führt sie ausschließlich Negativbeispiele an und sagt u.a.:

„Die Erfahrungen der Frauen mit Freiern sind konstant schlecht“

Warum in den meisten deutschen Berichterstattungen und Reportagen vorrangig nur Beratungsstellen zu Wort kommen, die sich prinzipiell gegen die Prostitution positionieren, wie z.B „La Strada“, „Solwodi“ oder „Karo“, ist mir ein Rätsel. Auch in diesem Beitrag wird so getan, als sei Sabine Constable das Sprachrohr aller Betroffenen. Ach nein, Alice Schwarzer taucht namentlich später ja auch noch auf…

Jedenfalls wird erklärt, wie große doch die finanziellen Zwänge, in denen viele Frauen stecken, seien. Ohne es explizit abzugrenzen und darauf hinzuweisen, geht es in den angeführten Beispielen inhaltlich aber nur um Armutsprostitution und den Straßenstrich. Dass es aber auch andere Bereiche der Sexarbeit gibt, kein Wort.

– „Die Frauen haben ganz massive Depressionen“

Ja, es sind bestimmt nicht wenige Sexarbeiterinnen, die darunter leiden. Aber kann man hier so pauschalisierend vorgehen? Sind die Ursachen immer die gleichen? Sind mehr Frauen davon betroffen als in anderen Arbeitsbereichen? Das wird sich wohl nie klären lassen und dennoch wird so populistisch argumentiert. Und auch, dass die Ursachen der Depressionen nicht nur in der Sexdienstleistung selbst liegen, wird nur marginal erwähnt. Es wird nämlich beinahe nie erwähnt, dass z.B. auch gesellschaftliche Stigmatisierung, Schikane durch Razzien, kaum Lobbyarbeit, Angst vor öffentlichem Outing etc. das seelische Gleichgewicht deutlich stören können.

– „es wird mehr Kritik laut, als noch in den vergangenen Jahren“

Diese Aussage darf stark angezweifelt werden. Denn gesellschaftliches und politisches Aufbegehren, mediale Berichterstattungen sowie moralische Kampagnengegen gegen Prostitution kamen in der Vergangenheit immer Schubweise. Alle paar Jahre rückt das Thema in das öffentliche Bewusstsein. Und immer wird vorrangig platt, scheinheilig und populistisch debattiert. Von mehr Kritik kann also nicht die Rede sein.

– „Die Prostitutionslobby ist unglaublich stark“ Deren Arbeit wirke sich laut der Münchener Sozialwissenschaftlerin Pfof. Anita Heiniger fatal auf die politische Diskussion aus.

Das kann man mal getrost in die Kategorie „Verschwörungstheorie“ ablegen. So ein Unfug. Wenn die Lobby so stark wäre, dann würde das Prostitutionsgesetz deutlich mehr Paragraphen und Absätze beinhalten, dann gäbe es deutlich weniger Razzien sowie Sperrbezirke, keine Vergnügungssteuer mehr, klarere Richtlinien für die Errichtung von Bordellbetrieben, mehr Rechte für Prostituirte …

Fazit: Sieht man über die angenehme Redeweise Meineckes und dem in sich stimmigen Aufbau des Beitrags hinweg, dann wird schnell deutlich, dass das Ganze insgesamt aber eher Murks ist. Die Redakteurin scheint schon weit vor Beginn ihrer Recherche ein vorgefertigtes Meinungsbild gehabt zu haben, von dem sie dann auch nicht abrücken wollte. Objektivität sieht jedenfalls anders aus.

rmv

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