Wie eine gefährliche Überzeugung die Runde macht

Wenn Christen zum „Schlag“ ausholen und Pädophilie und Prostitution in einen Topf werfen

Alice Schwarzer fing mit diesem unsäglichen Vergleich an. Und nun wird er scheinbar von der Christengemeinde dankend aufgenommen und unreflektiert weiter verbreitet. Die Rede ist von jenem angeblichen Zusammenhang zwischen der in den 80er Jahren von einigen Grünenpolitikern vertretenden Überzeugung Pädophile zu legalisieren und der Entkriminalisierung von Prostitution. Das heißt wer für eine gesetzliche Anerkennung der Sexarbeit ist, der befürwortet auch Kindesmissbrauch!? Unsäglich ist wohl kein Ausdruck.

Unter „Ein Religiöser Fanatiker auf inquisitorischer Mission“ habe ich mich bereits über das gestörte Menschenbild eines katholischen Fanatikers ausgelassen. Der Publizist Mathias von Gersdorff ist aber leider nicht der einzige, der das Alice-Schwarzer-Gleichnis für sich zu nutzen wusste. Auf freiewelt.net kommt nun der nächste Christenvertreter daher. Blogger Ron Kubsch (TheoBlog) betitelte seinen moralisch verwerflichen Beitrag mit „Pädophilie im linksliberalen Milieu“.

„So waren und sind die Grünen weiterhin gegen jegliche Einschränkung von Pornografie. Und sie sind die Vorreiter einer Verharmlosung von Prostitution, für sie „ein Beruf wie jeder andere“. Das passt zur Verharmlosung des Missbrauchs von Kindern“, proklamiert Kubsch. Später im Text fragt er mit erhobenem Zeigefinger: „Übrigens gleicht sich die Argumentation frappant: Ganz wie die Kinder mit den Pädophilen machen es die Frauen mit den Freiern angeblich „einvernehmlich“ und „freiwillig“ – und es ist doch auch eigentlich nichts dabei, oder?“

Ron Kubsch

Ron Kubsch ist Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte am Martin Bucer Seminar (MBS), eigenen Angaben zufolge Mitglied der Californischen Evangelical Philosophical Society (EPS) und der Evangelical Theological Society (ETS) Mit Sitz im US-Bundesstaat Kentucky sowie Mitarbeiter beim Arbeitskreis Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz (AKREF) und dem Internationalen Institut für Religionsfreiheit (IIRF).

Für Religionsfreiheit und gegen die Verfolgung von christlichen Minderheiten in der Welt ist der Fliegenträger mit dem lichten, kurz geschorenen Haar also. Für einen überkonfessionellen Konsens. Aber nicht für aufgeklärte und freie Sexualität? Für christliche Nächstenliebe ja, aber nicht gegenüber emanzipierten Sexarbeiterinnen? Mal gegen, mal für Stigmatisierung? So reiht sich der Herr Kubsch hinter all jene ein, die es nicht für möglich halten, dass das Rotlichtmilieu nicht ausschließlich aus (männlichen) Tätern und (weiblichen) Opfern besteht.

Pädophilie und Prostitution

Niemand käme auf die Idee den ehelichen Geschlechtsakt mit einem Übergriff des Vaters auf seine minderjährige Tochter zu vergleichen. Total unsinnig und abwegig ist ein solcher Gedanke. Aber kaum anders ist das Gleichnis von der sexuellen Präferenz gegenüber Kindern mit dem einvernehmlichen Geschlechtsakt mit einer Professionellen. Und außerdem: was hat Pornografie damit zu tun? Wenn Prostitution – also eine sexuelle Dienstleistung gegen Geld – Kubsch‘ Überzeugung zufolge angeblich nicht einvernehmlich ablaufen könne, gilt das dann auch für One-Night-Stands? Bedeutet jeder einmalige Geschlechtsverkehr für Mann und Frau, dass sie auch eine pathologische Neigung zu Kindern haben? Was ist denn die sich aus Überzeugung und Spaß prostituierende Frau – auch pädophil bzw. in ihrer Sexualpräferenz gestört? Ist jeder Pornokonsument krankhaft pervers? …

Diese Gegenüberstellung krankt an allen Enden!

1. Pädophilie wird in der Psychologie als psychische Störung, also als Störung der Sexualpräferenz angesehen. Hierbei richtet sich das sexuelle Interesse des Betroffenen im Allgemeinen auf Kinder vor Beginn der Pubertät, erlischt in der Regel also bei der Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale. Erwachsene, die ihrer Neigung nachgeben, also zum Täter werden, nutzten ganz klar ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um die eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen.

2. Ein Kind ist nach deutschem Recht ein Mensch, der noch nicht 14 Jahre alt ist. Zwar durchläuft das Kind nach Sigmunt Freud mehrere Phasen der psychosexuellen Entwicklung. Allerdings ist diese infantilen Sexualität nicht mit der eines geschlechtsreifen Menschen zu vergleichen. Kinder besitzen im deutschen Recht keine sexuelle Autonomie, haben also nach wissenschaftlich aktueller Überzeugung nicht die Fähigkeit sexuellen Aktivitäten und Handlungen in ihrer Tragweite zu erfassen. Kommt es dennoch zu sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern (Kindesmissbrauch), sind für gewöhnlich schwerwiegenden psychischen Schäden die Folge. Daneben wird die Entwicklung seiner sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit eklatant gestört.

3. Prostitution bezeichnet die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt. Sie kann also als Dienstleistung der volljährigen, mündigen und selbstbestimmten Prostituierten gegenüber dem gleichgestellten Freier gesehen werden. D.h. Prostitution ist in Deutschland ab dem vollendeten 18. Lebensjahr gesetzlich erlaubt. Alles andere hat wenig mit dem Sexgewerbe an sich gemein. Erfolgt der Geschlechtsverkehr unfreiwillig, so spricht man hingegen von Zwangsprostitution, sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung. Zwischen solchen Straftaten und der selbstbestimmten Sexarbeit sowie der Entgegennahme jener Dienstleistung ist also eine klare definierbare, moralische und juristische Grenze zu ziehren.

Und nun …?

Wie ist es also zu erklären, dass Prostitution und Pädophilie in einen Topf geworfen wird? Sprechen die Verfechter jener These Frauen a priori ihre Selbstbestimmtheit und Mündigkeit ab? Das muss wohl mit ja beantwortet werden. Sehen sie den Freier, also den mit sexuellen Bedürfnissen ausgestatteten Mann unwiderruflich als Täter? Offensichtlich.

Wie sieht es bei unmündigen Kindern aus? Wie bereits festgestellt besitzen Kinder vor der Geschlechtsreife eine andere Sexualität als Erwachsene, zudem besitzen sie keine sexuelle Autonomie. Im Gegensatz dazu steht die erwachsene Frau. Schon allein deswegen ist ein gleichwertiger Vergleich beider Gruppen (Frau und Kind) nicht möglich.

Oder besitzen Frauen selbst doch keine Mündigkeit? So gibt es etliche Stimmen, die frei heraus behaupten (wieder einmal), der Großteil der Prostituierten sei in ihrer Kindheit/Jugend bereits vergewaltigt worden. Stimmte dies, so wäre, wie oben angesprochen, die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit bei diesen Frauen gestört. Dann wäre ein Vergleich mit der fehlenden Einwilligungsfähigkeit bei Kindern durchaus haltbar. Nur ist jene Behauptung frei erfunden, bzw. deren Quelle nicht repräsentativ.

Funktionieren würde der Vergleich auch, wenn der Freier persé als (Sexualstraf)Täter eingestuft würde. Zwar kann dies beileibe als lächerlich abgeschrieben werden aber Ron Kubsch schreibt ja:

„Das gilt für das Machtgefälle zwischen Freiern und Prostituierten ebenso wie für das zwischen Erwachsenen und Kindern.“

Wenn dem so wäre, dann bedeutete dies, dass Frauen stets die Opferrolle einnehmen. Aber auch das kennen wir ja bereits aus der christlich patriarchaischen Sozial- und Kulturgeschichte. Entweder ist die Frau Verführerin und Unheilstifterin oder unmündiger, zweitklassiger Mensch. Warum gibt es denn im Katholizismus keine höheren von Frauen besetzten Kirchenämter? Warum müssen Frauen denn immer noch hart für ihre Emanzipation kämpfen?

Daran würde sich, sollte die Prostitution kriminalisiert und illegalisiert werden, dann nichts ändern. Die Frau bliebe unweigerlich Opfer.

Eigentlich ist eine Diskussion zu diesem Thema völlig unnötig, weil die Behauptung ja so fern jeglicher Vernunft ist. Wäre das Gleichnis nicht mittlerweile so beliebt unter jenen Sexualphobikern, dann wäre mein Aufriss hier auch nicht so groß. Könnte das bei von Gersdorff, Kubsch und Co. am Ende gar eine Retourkutsche auf den Kirchenskandal sein, der etliche Missbrauchsfälle pädophiler Priester in die öffentliche Aufmerksamkeit rückte? Versuchen jetzt christliche Was-Zu-Sagen-Haber dies auf morbide Art und Weise umzudrehen, indem sie alle Männer als mögliche Missbrauchstäter und Verteidiger der Pädophilie darstellen?

In einem anderen Text von Ron Kubsch zum Thema „Was ist Wahrheit“ heißt es: „Dem christlichen Glauben geht es um reflektierbare und prüfbare Inhalte und damit auch um die Wahrheitsfrage.“

Wo bitte kann hier noch von reflektier- und prüfbaren Inhalten gesprochen werden, geschweige denn von Wahrheit?

rmv

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