Zum Welthurentag – Sexarbeit in MV noch immer verboten

Rostock, Germany. City skyline reflecting in water of Warnow river

Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen in Rostock fordert Ende des Lockdowns auch für sexuelle Dienstleistungen

SeLA, die Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen in Rostock, fordert anlässlich des Welthurentages am 2. Juni, das coronabedingte Verbot sexueller Dienstleistungen in Mecklenburg-Vorpommern aufzuheben. Wenn körpernahe Dienstleistungen wie Massagen und Tattoostechen wieder erlaubt seien, müsse dies auch für Sexarbeit gelten. Alles andere sei eine krasse Diskriminierung der in diesem Bereich beschäftigten Menschen. SeLA und auch der Verein STARK MACHEN e.V. als Träger der Beratungsstelle lehnen das vehement ab. Die einzige Beratungsstelle dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern trifft seit 2014 jährlich etwa 700 Sexarbeiter*innen und berät und begleitet im Durchschnitt 360 zur Arbeits- und Lebenssituation in der Sexarbeit.

Interview mit den SeLA-Beraterinnen Sandra Kamitz und Nanne Mieritz

So normal, wie die Arbeit bei Penny an der Kasse
Der 2. Juni ist der internationale Gedenktag gegen die Diskriminierung von Prostituierten. Denn das Älteste Gewerbe der Welt muss noch immer in einer Grauzone agieren. Auch dagegen engagiert sich die Rostocker Beratungsstelle SeLA

Seit dem Lockdown ist Prostitution in Mecklenburg-Vorpommern komplett untersagt. Was bedeutet das für die Sexarbeiter*innen?

Sandra Kamitz: Wenn Prostitution verboten ist, arbeiten viele Sexarbeiter*innen trotzdem weiter. Sie müssen ja wie alle anderen auch ihre Miete bezahlen und essen, können aber weder Kurzarbeiter*innengeld oder staatliche Ausgleichzahlungen in Anspruch nehmen. Sie wurden durch das Verbot also in die Illegalität getrieben. Damit ist auch ihr Arbeitsplatz nicht mehr sicher. Kunden nutzen das manchmal aus, fordern Leistungen, die die Sexarbeiter*in ablehnt – z.B. Sex ohne Kondom, der sogar gesetzlich verboten ist – und drohen damit, die Polizei zu rufen, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wird. Eine Klientin hat zum Beispiel eine Anzeige wegen angeblichen Betruges erhalten – und von der Polizei gleich noch eine zweite dazu, weil sie ja gegen das Infektionsschutzgesetz verstößt, wenn sie arbeitet. Viele verlangen von ihren Kunden einen Corona-Test, um sich zu schützen, aber letztlich sind sie aus finanziellen Gründen gezwungen, es hinzunehmen, wenn ein Kunde das ablehnt. Die Sexarbeiter*innen können nicht mehr Öffentlich werben, sind einzig und allein auf Mund-zu-Mund-Propaganda angewiesen – und auch das steigert die Abhängigkeit von den Kunden. Oft sind sie gezwungen, sich mit Kunden an unsicheren Plätzen zu treffen, müssen Hausbesuche machen. Das lehnen die meisten normalerweise ab. Aber in dieser Situation, sind sie vulnerabler (ungeschützter, verletzlicher) denn je.

Nanne Mieritz: Die Sexarbeiter*innen konnten ihre Tätigkeit auch nicht wie gewohnt anmelden oder verlängern, weil Pro*SABI, die dafür zuständige Abteilung beim Amt für Gesundheit und Soziales (LAGUS) die ganze Zeit geschlossen war. Damit sind sie dann zum zweiten Mal illegal. Viele dürften sich gar nicht in MV aufhalten, weil sie ihren Hauptwohnsitz woanders haben. Zum Alltag in der Sexarbeit gehört aber, dass viele Sexarbeiter*innen ihre Dienstleistungen in verschiedenen Städten anbieten und dort oft wochenweise vor Ort sind.

Was bedeutet das für Eure Arbeit als Beratungsstelle?

Sandra Kamitz: Wir betreiben ja aufsuchende Arbeit. Aber aus Angst wird uns in den ca. 45 Modell-Wohnungen in der KTV, in der Östlichen Altstadt, in Lichtenhagen, Groß Klein und Toitenwinkel gar nicht aufgemacht. Das Misstrauen selbst uns gegenüber ist enorm gewachsen. Wir bieten beispielsweise alle zwei Wochen mittwochs eine kostenlose und anonyme Sprechstunde bei Gynäkolog*innen an. Auch dieses Angebot wird viel seltener als sonst wahrgenommen. Wir treffen auch viele uns unbekannte Sexarbeiter*innen in den Wohnungen und fangen also wieder bei Null an. Wir stellen unser Angebot vor, müssen uns das Vertrauen der Sexarbeiter*innen erarbeiten.

Nanne Mieritz: Viele Bundesländer hatten ja im letzten Sommer das Verbot zurückgenommen – nur Mecklenburg-Vorpommern nicht. Sexarbeit ist die einzige körpernahe Dienstleistung, die seit Juli 2020 durchgängig verboten war. Wir sehen das wirklich als diskriminierenden Akt seitens der Landesregierung. Dieser Umgang sagt viel aus über den Wert und die Stellung, die Sexarbeiter*innen beigemessen werden.

Hat sich Euer Blick auf Sexarbeit und Sexarbeiter*innen verändert, seitdem Ihr bei SeLA tätig seid?

Nanne Mieritz: Ich arbeite erst ein knappes Jahr bei SeLA. Vorher habe ich Soziale Arbeit in Neubrandenburg studiert und die Beratungsstelle 2018 während eines Praktikums kennengelernt. Diversität ist das erste Stichwort, das mir dazu einfällt. Außerdem finde ich es sehr spannend, wie mein Umfeld auf diese Arbeit reagiert hat. Alle wollen Stories über Menschenhandel hören und sind dann enttäuscht, wie normal unsere Arbeit ist – dass es in den Gesprächen mit den Klient*innen um Finanzamt und Steuern, um Krankenkasse und Versicherungen geht.

Sandra Kamitz: Ich bin jetzt seit sechs Jahren dabei und ich sehe inzwischen sehr viel stärker die große Diversität. Es gibt so viel unterschiedliche Menschen, die diesen Job als Sexarbeiter*in machen. Und ich sehe mittlerweile auch, dass es – so wie in jedem anderen Job auch – Menschen gibt, die dafür gemacht sind, und andere, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Aber das kennen wir ja auch von Lehrer*innen, Verkäufer*innen, Polizist*innen. Und diese Vergleiche sind nicht aus der Luft gegriffen. Für mich ist der Beruf Sexarbeit mittlerweile so normal, wie die Arbeit bei Penny an der Kasse. Und ich sehe sehr viel klarer, dass engagierte Sexarbeiter*innen allein nicht ausreichen, damit Sexarbeiter*innen die gesellschaftliche Stellung, das Ansehen erfahren, das ihnen gebührt. Vorurteilsfrei, gesehen, geachtet – so wie jeder andere Mensch, jede andere Berufstätige auch. Außerdem ist Sexarbeit natürlich ein sehr spezieller Job, der wie viele andere auch Professionalisierung braucht. Ich weiß um Menschenhandel und um organisierte Kriminalität und denke, dass es möglich sein muss, all dem den Boden zu entziehen. Ich weiß aber auch, dass das nicht durch ein Sexkaufverbot passiert, wie es gerade diskutiert wird.

Nanne Mieritz: Genau. Ein Sexkaufverbot soll Kunden kriminalisieren, es kriminalisiert im Endeffekt aber auch die Sexarbeiter*innen und treibt sie in die Illegalität. Das ist definitiv der falsche Weg, wie es das schwedische Modell ja zeigt.

Was wünscht Ihr Sexarbeiter*innen zum Welthurentag?

Sandra Kamitz: 1975 haben mehr als 100 Sexarbeiter*innen in Lyon in Frankreich eine Kirche besetzt, um auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Und heute, 46 Jahre später, gibt es immer noch Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen. Für mich eine Folge der gesellschaftlichen Tabuisierung von Sexarbeit. Ich wünsche Sexarbeiter*innen, dass sie in Mecklenburg-Vorpommern, dass sie endlich wieder arbeiten können. Und überall, dass sie gute Arbeitsbedingungen haben – wo und an welchen Stellen und mit wem sie auch arbeiten. Ich wünsche ihnen, dass ihre Mündigkeit und Selbstbestimmtheit endlich anerkannt wird. Menschen, die sich für diese Tätigkeit entscheiden, sind keine Opfer. Für die öffentliche Debatte bedeutet das, sauber zu trennen zwischen freiwillig ausgeübter Prostitution auf der einen und Menschenhandel, Zwang und damit Vergewaltigung auf der anderen Seite.

Nanne Mieritz: Ich wünsche Sexarbeiter*innen, dass offen darüber gesprochen wird, in welchen Formen Sex heutzutage gelebt wird. Dass dieses gesellschaftliche Tabu fällt. Genauso, wie es eine private und völlig berechtigte persönliche Entscheidung ist, wie viele und welche Geschlechtspartner*innen eine Person hat, wie häufig sie diese wechselt, genauso ist es eine völlig private und berechtigte persönliche Entscheidung, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder sie anzubieten.

Sandra Kamitz: Wir alle haben mehr oder weniger ausgeprägte sexuelle Bedürfnisse. In anderen Bundesländern gibt es Fachtagungen und Projekte dazu, wie zum Beispiel eine Sexualassistenz professionalisiert werden kann, welches medizinische oder auch pflegerische Wissen dafür notwendig ist. Hier gibt es ein weites Feld für gute Weiterbildungen für Sexarbeiter*innen. Aber dazu gehört eben auch die gesellschaftliche Akzeptanz dieses Berufes Sexarbeit.

V.i.S.d.P. Ulrike Bartel, STARK MACHEN e.V.

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