Mit Schlagzeilen von Vorvorgestern Leser beeindrucken

Wie Heute.at ein Erkenntnis von vor zwei Jahren als neue Story verkauft

„Ex-Turnstar jobbt jetzt als Prostituierte in Wien“ titelte die Online-Zeitung Heute.at vor wenigen Tagen. Dem äußerst spärlichen Bericht zufolge habe es die ukrainisch-stämmige, ehemalige Vize-Weltmeisterin wegen zu geringer Entlohnung als Trainerin in ihrer Heimat nach Wien verschlagen. Die Einnahmemöglichkeiten als Sexdienstleisterin seien zudem deutlich lukrativer und das Geld schicke sie ihrer Familie. Mehr ist aus dem Text nicht zu entnehmen. Einen teils falsch abgekupferten Kurz-Beitrag ließ das Portal shortnews.de folgen. Und auch das ist erstaunlich: Wie schafft man es, die Informationen aus zwei ursprünglichen Absätzen falsch widerzugeben? So wurden aus „wenigen hundert Euro im Monat“ schließlich „Hundert Euro im Monat“. Obwohl, was anderes kann man von schortnews.de auch nicht erwarten.

Aber zurück zum „Ex-Turnstar“. Woher weiß man bei Heute.at, in welchem Laufhaus sich die ehemalige Hochleistungssportlerin aufhält? War der Redakteur vielleicht auf Stippvisite? Vielleicht auch jemand anderes, denn auch auf diversen englischhsprachigen Seiten und Blogs taucht zur selben Zeit (am 10. Juni) ein ähnlicher Bericht auf. Auf jeden Fall soll wohl einfach nur ein altes Thema wieder aufgewärmt werden. Denn Presseberichte über die auf Heute.at nicht namentlich genannte Turnerin, gab es schon vor zwei Jahren.

Schlagzeile nicht neu

Wir erinnern uns: Im September 2012 gab es kurzzeitig schon einmal einen kleinen, und doch internationalen Medienhype über dieses vermeintliche Top-Thema. Auch wir haben uns dazu geäußert (siehe hier). Wie Bild und Co. damals herausgefunden haben wollen, habe Florica (bzw. Floarea ) Leonida – denn so heißt die werte Dame mit bürgerlichem Namen – zuvor in einem bayerischen Fitnessstudio gearbeitet. Davon lesen wir bei Heute.at nichts mehr. Auch über die etlichen Berichte der rumänischen Medien kein Wort. Aber man hat ja auch nicht recherchiert…

Wenn man sich nun aber noch eingehender mit Leonidas „neuem“ Leben beschäftigen wollte, dann erfährt man, dass sie unter dem Pseudonym „Ina“ bzw. „Ina Hot“ oder auch „Sascha Brown“ bereits seit mindestens 2009 in den unterschiedlichsten Etablissements dem Geschäft mit dem käuflichen Sex nachgeht. Wenn allerdings heute, 2014, ein österreichischer Journalist schreibt, dies sei ihre neue Karriere, dann frage ich mich, in welcher Alpenhöhle er so lange Winterschlaf gehalten hat?

Zu Florica Leonidas Beweggründen ist im einzelnen nicht viel zu erfahren. Das muss es ehrlich gesagt auch nicht. Wenn sie diesem Job aus freien Stücken nachgeht, dann ist es so. Warum die Regenbogenpresse nun darüber berichtet, und dann auch noch so oberflächlich, das lässt sich wohl nur mit der Sucht nach immer neuem Klatsch und Tratsch begründen.

Sexarbeiterinnen mit Respekt behandeln …

Was ich aber glaube, ist, dass „Ina“ sich tatsächlich wegen des schnell verdienten Geldes prostituiert. Weniger, weil sie Spaß an der Sache hat. Durchstöbert man Freierforen, dann finden sich nämlich mehrheitlich negative Kritiken in Bezug auf ihren Service und ihre erbrachten Dienstleistungen. Bei einigen Herren, welche in ihren Ausführungen aber eher unsentimental und herrisch daherkommen, ist es Ina nicht zu verdenken, geringe Lust an der Arbeit zu verspüren…

Und die Aussagen zweier Forenmitglieder unterstützen meine Hypothese ganz gut, denke ich. So schrieb antoine02 im Lusthaus Sexforum: „Also gern, macht die den Job nun sicher nicht. Wohl eher die Kohle lockt und sie versucht möglichst viel zu vermeiden.“ Jeti1 fügte an: „Ich denke bei Ina spielt es eine große Rolle ob man ihr grade Sympathisch ist oder nicht. Hab bei Ihr das Gefühl sie ist eine sehr stolze Frau die mit Respekt behandelt werden will.“

Und das ist es, was viele Männer immer wieder vergessen. Sie suchen sich eine attraktive und hübsche Frau nach ihrem Geschmack aus und meinen, dass dann das gleiche auch im umgekehrten Fall zutrifft. „Mit Respekt behandeln“ ist das Stichwort – auch bei nicht ganz zufriedenstellendem Service.

Wenn die heute 27-Jährige – unter welchem Namen auch immer – nun in österreichischen Bordellen unterwegs ist, dann scheint sie weiterhin einen Vorzug darin zu sehen, schnelles Geld mit Sex zu verdienen. Wer ihre Dienste nicht mag, muss sie ja nicht mehr besuchen. Aber vielleicht muss man ihr auch einfach nur menschlich und würdevoll gegenübertreten … . Das Gleiche gilt übrigens für jede andere Sexdienstleisterin und für jeden anderen Sexdienstleister auch.

rmv

Nachtrag, 23. Juni 2014 – Am Samstag (21.06.) reihte sich das schweizer Nachrichten-Portal blick.ch in die Schlange der Berichterstatter ein, um über Florica Leonida zu berichten. Die Schlagzeile der Redaktion lautet „Die traurige Lebensgeschichte von Ex-Turnerin Florica Leonida. Vom Schwebebalken ins Bordell“. Nach sieben Absätzen Lektüre hat man als Leser zwar etwas über die Ex-Turnerin erfahren, warum die Lebensgeschichte aber „traurig“ sein soll, bleibt ein Rätsel. Dem Autor zufolge habe sich Leonidas Verdienst um mehr als das 40-fache erhöht, womit sie nicht nur ihren eigenen sondern auch den Lebensunterhalt ihrer in Rumänien lebenden Familie finanziere. Von negativen Begleiterscheinungen des Jobs oder einem psychischen Absturz ließt man indes nichts. Höchstens lassen sich unschöne Begleiterscheinungen aufgrund des öffentlichen Outings durch die Medien erahnen. Auf jeden Fall weichen Überschrift und Text weit voneinander ab. Eine 5 minus für die journalistische Leistung der Redaktion.

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