Rotlicht-Krise nach Razzien in NRW

Prostitutionsgesetz gescheitert?

Es brodelt im Rotlichtgewerbe. Seit den umfangreichen Razzien in dutzenden Etablissements in Düsseldorf und Umgebung wird ein Thema ganz besonders diskutiert: Ist das Prostitutionsgesetz gescheitert? Und es fallen wieder die bekannten Schlagwörter: Frauenunterdrückung, Frauenhandel, Zwangsprostitution, Missbrauch, Vergewaltigungen etc.. Dieses Bild des durchweg kriminellen Rotlichtgewerbes wird dann auch nicht besser, wenn Fahnder in Niedersachsen unter 750 überprüften Sexarbeiterinnen ganze sechs Zwangsprostituierte aufgreifen – so am vergangenen Donnerstag/Freitag geschehen. Dazu kommen dann die regelmäßigen Berichte von kriminellen Rockerbanden, die einen Teil ihrer Einnahmen durch den Betrieb von Bordellen und Nachtclubs erhalten.

Dass nicht alle das Thema Prostitution schwarzmalerisch und einseitig sehen, das wird deutlich, wenn man zum Beispiel einmal die Arbeit des Berliner HYDRA e.V. betrachtet. Die gemeinnützige Selbsthilfegruppe und Interessenvertretung von Prostituierten ist seit 1985 aktiv, engagiert sich für ein größeres Verständnis von Prostituierten in der Bevölkerung sowie für die rechtliche und soziale Gleichstellung von Prostituierten mit anderen Erwerbstätigen.

Bereits im März dieses Jahres veröffentlichte Hydra einen Offenen Brief zur Sendung „Menschen bei Maischberger: Ob Billigsex oder Edelpuff: Schafft Prostitution ab!“ Die Kritikpunkte, die der Verein zur Sendung aufführte passen nun auch fast eins zu eins in die neuerliche Debatte. So heißt es darin u.a.: „Wir möchten Sie und alle interessierten Medien auffordern, das Thema Prostitution sachorientierter, differenzierter und mit mehr Respekt anzugehen. Statt oberflächlicher Milieu-Reportagen und moralistischer Opfer- und Verbotsdiskurse brauchen wir Respektkampagnen. Die Prostitution ist Teil unserer sexuellen Kultur. Sie verbieten zu wollen ist nicht nur unrealistisch, sondern ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht aller, die ihr ohne Zwang und Gewalt nachgehen.“

Interessant ist aber im besonderen der Fakten-Chek, der dem Offenen Brief angehängtgt ist. Wir haben uns einmal erlaubt diesen hier abzudrucken:

1. Prostitution und Menschenhandel seien untrennbar.

Um ein realistisches Bild von der Sexarbeitsbranche zu erhalten, kommt man nicht umhin, beides getrennt zu betrachten. Prostitution bezeichnet eine mittlerweile nicht mehr sittenwidrige Dienstleistung. Menschenhandel dagegen ist ein Straftatbestand, dessen Definition in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ausgeweitet wurde. Trotz dieser Begriffsaufblähung ist die Zahl der Menschenhandelsopfer in den Jahren nach der Einführung des Prostitutionsgesetzes gesunken, wie die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik belegen. Weite Teile der Sexarbeitsbranche hatten und haben mit Menschenhandel nicht das Geringste zu tun.

2. Deutschland sei durch das Prostitutionsgesetz zur europäischen Drehscheibe des Menschenhandels geworden.

Die Zahlen der offiziellen polizeilichen Kriminalstatistik können diese medial zur Zeit sehr beliebte Drohkulisse nicht stützen. Im Gegenteil: In den neun Jahren vor der Einführung des Prostitutionsgesetzes lag die durchschnittliche Anzahl polizeilich vermuteter, gerichtlich noch nicht bestätigter Opfer von Menschenhandel pro Jahr bei 1068. In den neun Jahren nach Einführung des Prostitutionsgesetzes sank diese Zahl auf 892 pro Jahr. Dies entspricht einem durchschnittlichen Rückgang der Opferzahlen um 16,5% (1). Ebenso wenig entspricht es den Tatsachen, dass die Polizei das Prostitutionsgesetz als menschenhandelsförderlich kritisiert. Heike Rudat, die frauenpolitische Sprecherin des Bundes deutscher Kriminalbeamten, betrachtet die Einführung des Prostitutionsgesetzes „als eine Chance bei der Bekämpfung des Frauenhandels durch das sichtbarmachen eines bisher im Graubereich agierenden Wirtschaftsbereiches (2).“

3. Durch erschwerte polizeiliche Kontrollmöglichkeiten seien Frauen ungeschützter und ausgelieferter denn je.

Kaum ein Wirtschaftszweig wird in Deutschland stärker kontrolliert als die Prostitution. Polizei, Bauämter, Gesundheitsämter, Finanzämter, Ausländerbehörden und Zoll kontrollieren regelmäßig in Prostitutionsstätten. Bei Razzien kommt es häufig zu Polizeigewalt, so dass von einem Schutz der SexarbeiterInnen nur bedingt die Rede sein kann. Stattdessen kommt es zu Abschiebungen und Ausweisungen von Prostituierten.

4. Nur 3% der Prostituierten arbeiten selbstbestimmt.

Unsere eigenen Erfahrungen und Gespräche mit Polizeiexperten weisen in eine völlig andere Richtung. Fakt ist aber auch, dass sich solche Quantifizierungen durch die hohe Fluktuation in der Sexarbeitsbranche und den Mangel an repräsentativen Studien dem statistischen Zugriff entziehen. Hinzu kommt, dass Sexarbeiterinnen, die mit ihrem Job gut klarkommen, bei Fachberatungsstellen oft gar nicht in Erscheinung treten. Wenn die in der Sendung anwesende Sozialarbeiterin also behauptet, selbstbestimmte Prostituierte seien „so typisch für die Prostitution wie ein Unterwasserschweisser für die Metallindustrie“, dann reflektiert dies wohl eher die persönliche Wahrnehmung ihres eigenen Berufsalltags, nicht aber die Gesamtheit der Sexarbeitsbranche.

5. Die „autonome deutsche Hure“ sei eine aussterbende Spezies.

Die typische Hure sei 25, habe drei Kinder, stamme aus Südosteuropa und arbeite unter Bedingungen von Zwang und Gewalt. Die Realität ist unendlich viel komplexer. Die „typische Hure“ gibt es nicht. Ebenso wenig sind eingewanderte Prostituierte automatisch junge Opfer von Zwang und Gewalt und deutsche Sexarbeiterinnen per se alt und selbstbestimmt. Laut Lagebericht Menschenhandel 2010 des BKA belief sich die Zahl der deutschen Menschenhandelsopfer auf 19,8% und machte damit den größten Anteil an der Gesamtzahl der Opfer aus. Gern ausgeblendet wird auch, dass viele Migrantinnen bereits längere Zeit in Deutschland leben, bevor sie sich entschließen, in die Prostitution einzusteigen. Und dass sich der „Markt“ um viele Menschen aller Herkünfte und Altersgruppen erweitert hat, die der Prostitution nur zeitweise nachgehen, um ihr Einkommen aufzubessern.

6. Bei der Prostitution ginge es nicht um Sex, sondern um Macht. „Es geht darum, eine sexuelle Beziehung zu suchen, wo man sagen kann: ‚So, so, so, umdrehen, rauf, runter, Klappe halten, Mund aufmachen.’“ (Alice Schwarzer)

Die Vorstellung einer solchen Kommunikation zwischen Kunde und Dienstleisterin ist eine absolute Karikatur. Die große Mehrheit der Kunden verhält sich respektvoll und akzeptiert auch ein Nein. Hinzu kommt: Konkrete Praktiken werden häufig schon bei der Kontaktanbahnung ausgehandelt, womit sich Verhaltensanweisungen im Befehlston während der Dienstleistung völlig erübrigen.

7. Drei von vier Prostituierten können nur mit Drogen und Alkohol arbeiten.

Der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. liegen keine Studien vor, die nachweisen, dass Prostituierte wegen ihres Jobs anfangen zu trinken oder Drogen zu konsumieren. Zudem konnte keine Studie bislang die Behauptung belegen, dass Sexarbeiterinnen mehr Alkohol oder Drogen konsumieren als andere Berufsgruppen. Wissenschaftliche Untersuchungen, die der Frage nachgehen, welche Berufsgruppen einer Suchtgefahr am stärksten ausgesetzt sind, nennen regelmäßig andere Berufsgruppen (z.B. Journalisten, Arbeitslose, Studenten, Arbeiter).

8. Kunden gehen zu Prostituierten, weil sie unreif sind, weil ihre Partnerinnen zu selbstbewusst sind, weil sie sich Beziehungen entziehen und sich den Frauen nicht stellen wollen.

Freier – das belegen Studien immer wieder – sind von Alter, sozialem Background, Persönlichkeit und Bildungsstand her eine heterogene Gruppe und gehen aus den unterschiedlichsten Gründen zu Prostituierten. Ihnen pauschal Beziehungsunfähigkeit zu unterstellen, mag altfeministischem Wunschdenken entsprechen, geht aber an den vielschichtigen Lebenslagen und Motivationen der Kunden vorbei.

9. Ein Prostitutionsverbot oder Strafen für Freier würden dazu führen, dass weniger Männer zu Prostituierten gehen.

Wie viele Männer Sexarbeiterinnen aufsuchen, hängt nur sehr bedingt von der Rechtslage ab. Auch in Ländern wie den USA oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die Prostitution verboten ist und/oder Freier bestraft werden, floriert das Business. Die Erfahrung mit Prostitutionsverboten zeigt aber auch, dass vor allem die Sexarbeiterinnen die Leidtragenden sind: Sie haben weniger Rechte und müssen im Berufsalltag mit mehr Risiken und Gefahren klarkommen.

10. Ein Prostitutionsverbot wäre vergleichbar mit der Abschaffung der Sklaverei.

Wir haben in Deutschland ein in den letzten zwei Jahrzehnten ständig erweitertes strafrechtliches Instrumentarium, um Eingriffe in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu verfolgen und zu ahnden. Ein Verbot der Prostitution dagegen verletzt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller, die freiwillig in dem Metier arbeiten. Selbstbestimmte Prostituierte mit „glücklichen Sklavinnen“ (Alice Schwarzer) zu vergleichen, ist gehässig, respektlos und diskriminierend.

(1) Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik aus den Jahren 1993-2010

(2) In: Emilija Mitrović, Dorothea Müller (Hg.): Sexarbeit – ein Beruf mit Interessensvertretung? Working in the sex industry – Jobs with representation of interests? Marburg: BdWi-Verlag 2009. S. 79

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