Rotlichtviertel hinterm Rathaus

Schweriner Schloß

Bereits im Jahr 2013 haben wir den interessanten Beitrag von Dipl.-Historiker & Dipl. Archivar Udo Funk entdeckt und hier verlinkt. Leider ist die Seite nicht mehr online. Freundlicher Weise hat uns Herr Funk den Artikel zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Danke dafür!

Viel Spaß beim Einblick in die Schweriner Geschichte. Der Beitrag ist ca. im Jahr 2004 online gegangen.

Rotlichtviertel hinterm Rathaus

Handwerker wehrten sich gegen die nahe Sündenmeile

Das „älteste Gewerbe der Welt“ beginnt sich in den Jahren nach der Wende auch in Mecklenburg mehr oder weniger offiziell wieder anzusiedeln. Aufmerksamen Zeitungslesern dürfte nicht entgangen sein, dass es in der Welt- und Hafenstadt Rostock wohl einige Probleme im Vorfeld der offiziellen Etablierung eines „Rotlichtviertels“ zu lösen gibt. In der Landeshauptstadt Schwerin kann der den Vergnügungen mit dem weiblichen Geschlecht zugetane Herr für diese Dienstleistung inzwischen im Hafenviertel, also an der Peripherie der Stadt, einen „Privatclub“ aufsuchen, der allerdings kein Stein öffentlichen Anstoßes ist.

Weil in der „frequentesten Gegend“ der Haupt- und Residenzstadt gelegen, fanden die in den dazu überlieferten Akten als „Freudenhäuser“, „Bordell-Wirtschaften“ oder „Hurenwirtschaftsbetriebe“ bezeichneten Etablissements im 19. Jahrhundert in Schwerin keinesfalls ungeteilte Akzeptanz der jeweiligen Anlieger.

Die 1839 von den Stadtbehörden beabsichtigte „Verlegung der in der Umgebung des Großherzoglichen Schauspielhauses befindlichen Freudenhäuser in die Gegend hinter dem altstädtischen Rathause“ löste eine Kette von Beschwerden an den Magistrat, ja sogar direkt an den Großherzog aus. Ungeachtet dessen wurden nach Abbrand des alten Schauspielhauses „die öffentlichen Häuser, welche hinter dem alten Schauspielhaus belegen waren, weil die Plätze zum Bau des neuen Hauses erforderlich, hinter dem Rathause verlegt“.

In Schwerin gab es wie auch in anderen mecklenburgischen Städten seit Jahrhunderten Etablissements des „horizontalen Gewerbes“. Besonders zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrie- und Stadtentwicklung war die Prostitution vor allem in den Großstädten die Grundlage „für Bordelle und andere sexuelle Dienstleistungs- und Vergnügungseinrichtungen“. Bedingt besonders durch niedrige Löhne für Frauen ebenso wie Arbeitslosigkeit und andere ungünstige Lebensumstände, war dieses „Dienstleistungsgewerbe“ für viele Frauen die einzige Erwerbsquelle, um sich selbst und ihre Kinder am Leben zu halten. „Zufällige Umstände, der Tod eines Vaters, einer Mutter, Arbeitslosigkeit, unzulänglicher Lohn, Elend, trügerische Versprechungen, Verführung, gestellte Netze…“ zitiert August Bebel 1879 eine englische Frauenrechtlerin, die persönliche Erfahrungen und Motive ehemaliger Dienstmädchen und junger Arbeiterinnen wiedergab, die sie dazu bewegten, sich zu prostituieren.

Auch den Betreibern der „öffentlichen Häuser“ Schwerins ging es um „Sein oder Nichtsein“ – ihre „Wirtschaften“ sicherten ihnen gerade eben die Einkünfte zum Lebensunterhalt für sich selbst und ihre Angehörigen.

Räumungsbefehl für Schankwirtin Parbs

Die verwitwete Schankwirtin Parbs, „eine altersschwache, lahme Frau“, wird von Seiten des Stadtpolizei-Amtes beauflagt, die bisher von ihr in ihrem Eigentumshause nahe dem Schauspielhaus betriebene Wirtschaft dort nicht länger fortzusetzen: Falls sie dieselbe nicht aufzugeben geneigt sei, möge sie sich in einer vom Schauspielhause entfernteren Straße ansiedeln. Da sich kurzfristig kein Käufer für das Haus der Witwe Parbs finden ließ, war sie nicht in der Lage, es bis Ostern des Jahres zu räumen, ohne sich „deshalb in große Kosten und Weitläufigkeiten zu versetzen“. „Die Wirtschaft fahren zu lassen, dazu kann ich mich aber ebenfalls nicht entschließen, da sie mein Broterwerb ist, und ich mich anderweitig auf keine Weise ernähren kann“, schreibt sie direkt an den Großherzog. Es blieb trotz Bittgesuch bei der einmal gegebenen Bestimmung des Stadtpolizei-Amtes!

Auch die bereits 1819 als Bordellbetreiberin in Schwerin bekannte Schankwirtin Voegt (Vögt) ist vom „Konzentrationsprozess“ zum „Rotlichtviertel hinterm Rathaus“ im Jahre 1839 betroffen. Sie schildert, dass sie ihr Geschäft „seit vielen langen Jahren“ bereits als Schenkwirtin in der armen Sünderstraße betrieben hat, nun aber „von dem hiesigen löblichen Polizei-Amte“ aufgegeben bekam, zu Ostern des Jahres ihr Geschäft „in der unmittelbar hinter dem Rathause belegenen Straße nur fortsetzen zu dürfen“. „Endlich ist es mir jetzt erst gelungen, ein Haus daselbst anzukaufen, welches mir aber erst zum bevorstehenden Michaelis überlassen und eingeräumt werden kann“, schreibt auch sie an den Großherzog persönlich mit dem Ersuchen, ihr Geschäft bis dahin am alten Standort weiterbetreiben zu dürfen.

Protest gegen sittenlose Nachbarschaft

Während die „öffentlichen Wirtschaften“ der Schankwirtinnen Parbs, Vögt u.a. diesen sowie natürlich den Freudenmädchen die täglichen Brötchen mehr oder weniger einbrachten, sahen sich die an- und umliegenden Geschäftsleute, Handwerker, Hausbesitzer und Mieter in ihrer Existenz bedroht sowie durch die allgemeine Gefährdung der Sittlichkeit benachteiligt. Die Kaufmannswitwe Brunneckow sandte ein zehnseitiges Bittgesuch an den Großherzog. Seit zwölf Jahren Besitzerin eines Wohn- und Geschäftshauses mit einigen vermieteten Wohnungen, setzt die Ansiedlung der leichten Mädchen in die „Gegend hinter dem altstädtischen Rathhause mich nun in die schlimme Alternative, entweder zu meinem Schaden zu verkaufen oder wohnen zu bleiben an der Schwelle der Sittenlosigkeit. Das letztere kann ich so wenig vor meinen Töchtern und mir selber, als vor meinen Geschäftsfreunden verantworten; es bleibt daher kein anderer Weg für mich übrig, als mich eines Besitzthums zu entäußern, dessen Werth für mich einmal unersetzlich ist“. Außer der eigenen Wohnung handelte es sich um ein „an einer frequenten Gegend belegenes Local zu dem von mir betriebenen Geschäfte, welches mich nebst drei unverheirateten Töchtern ernähren muss“. Ihre letztendliche Bitte um wenigstens angemessene Entschädigung wurde vom großherzoglichen Kabinett lapidar beantwortet, „dass dies eine Angelegenheit ist, in die wir uns nicht mischen können…“.

Dem Schustermeister Horn wurde auf sein „Gesuch um Entschädigung wegen des durch Verlegung der Bordellwirtschaften in die Nähe seines Hauses ihm angeblich zugefügten Nachtheiles“ „übrigens wegen seiner höchst unangemessenen, impertinenten Schreibart hierdurch ein ernstlicher Verweis ertheilet“, heißt es im Antwortschreiben des Kabinett! (1840)

Am 28. Februar 1850 wurde dem Großherzog eine von 16 Anliegern des Schlachtermarktes unterzeichnete Petition präsentiert, „die Verlegung dieser so nachthreiligen Wirtschaften in eine weniger lebhafte und vom Verkehr weiter entfernte Gegend der Stadt zu befehlen“. “Nicht allein die Nachtheile, die wir…die in der Nachbarschaft der öffentlichen Häuser wohnen, …ausgesetzt sind, sondern auch die Gefahren der Jugend, welche auf ihren Wegen zur Kirche und Schule diese Gegend nicht vermeiden können, hat uns zu diesem allerunterthänigsten Vortrag veranlasst. In Erwägung, dass Beispiele von Anlockung männlicher Jugend, so wie leider! Verführungsversuche der zartesten weiblichen Jugend dem Publico nicht unbekannt geblieben, haben außer uns viele Bürger und Einwohner dieser Stadt gleiche Wünsche“. Mit dem Vermerk „Ist Sache der Stadt“ auf dem Aktenstück war das Bürgeranliegen punktum erledigt.

Durch den Puff zur Gesundheit…

Obwohl mit dem neuen Strafgesetzbuch 1871 die Prostitution in Deutschland offiziell verboten war, existierte sie aufgrund der doppelbödigen Haltung des Staates weiter. Vom 26. August 1876 datiert ein „Vortrag und Bitte des Sanitätsrats Dr. Brückner zu Schwerin“ an das Ministerium des Innern, „allerhöchst in Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Großherzoglichen Garnison daselbst wie auch der Einwohner der Stadt, ferner auf die Erhaltung der Moralität beider Geschlechter, den Magistrat in Schwerin zu ermächtigen, die Bordelle in der von ihm vorgeschlagenen Form, welche mit dem § 180 des Strafgesetzbuches nicht im Widerspruch stehen würde, ferner bestehen zu lassen“.

Wegen der „Concessionierung öffentlicher Frauenzimmer in der 2. Glaisinstraße“ beim Kabinett 1892 eingegangene Beschwerden erhält z.B. einer der Bittsteller zur Antwort, „daß die gänzliche Entfernung der betreffenden Frauenzimmer aus der 2ten Glaisinstraße unthunlich“ sei.

…aber nicht in Grabow

Was der Residenzstadt recht, ist der mecklenburgischen Kleinstadt noch lange nicht billig! Das besagt eindeutig die „Acta die Untersuchungssache wider die Gastwirt Burmeisterschen Eheleute zu Grabow, wegen Hurenwirtschaftsbetrieb betreffend“ aus dem Jahre 1833! Aus den beim Kriminalkollegium in Bützow eingereichten Akten geht eindeutig hervor, dass im Burmeisterschen Hause in Grabow „notorisch, wenigstens nach dem allgemeinen Urtheile des dortigen Publicums ein wirkliches Bordell bestehe, und die Burmeistersche Ehefrau das Gewerbe der Kuppelei im größten Umfange betreibe“.

Die zunächst angestrebte „Kriminaluntersuchung“ wegen des Burmeisterschen Bordells in Grabow wurde jedoch aufgehoben. Ebenso wurde aber im gleichen Moment vom Schweriner Kabinett festgestellt, „daß in kleinen Städten die Bordelle nicht als nothwendiges Übel zu betrachten sind, bei welchem die Polizei schon ihre Pflicht erfüllt, wenn sie nur dem öffentlichen Scandale und der Verbreitung böser Krankheiten entgegenwirkt“. Dem Magistrat in Grabow ist „die Duldung des Burmeisterschen Bordells fürs Vergangene eben so strenge zu verweisen, wie für die Zukunft zu verbieten“ !

Eines haben uns die bisher über das „älteste Gewerbe der Welt“ in Mecklenburg studierten Akten verschwiegen: Wer waren die „Liebesdienerinnen“, wer die bedienten „Herrlichkeiten“, wie hoch das Honorar…?

Quelle: Dipl.-Historiker & Dipl.-Archivar Udo Funk

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