Warum die „Expertise“ von Melissa Farley brandgefĂ€hrlich ist
Die einschlĂ€gig bekannte, deutsche Traumatherapeutin Michaela Huber gilt als die Ansprechpartnerin, wenn es um den rituellen Missbrauch MinderjĂ€hriger durch geheime Satanistenzirkel geht. Seit Jahrzehnten schult sie Ărzt:innen, Psycholog:innen und Therapeut:innen zum Thema. Seit Jahrzehnten wird sie in diversen (oft selbst gestreuten) Publikationen als Expertin zitiert. Das Problem: es handelt sich dabei um einen Verschwörungsglauben, die Verbreitung der sogenannten âSatanic Panicâ. Die Wissenschaftlichkeit der Michaela Huber wird daher von vielen stark angezweifelt und heftig kritisiert. Speziell auch weil Huber neben ihren bis heute nicht bewiesenen Anschuldigungen mit esoterischem Glauben an das Ăbersinnliche auffĂ€llt. 2020 wurde sie dafĂŒr sogar fĂŒr den Negativpreis „Der Goldene Aluhut“ nominiert. Zuletzt hat sich das „ZDF Magazin Royale“ kritisch mit der Causa Huber beschĂ€ftigt.
Aber was haben Huber und angebliche Satanistenkulte jetzt mit Sexarbeit zu tun? Was soll das im Rotlicht.de Magazin? Einfach erklĂ€rt: Es geht um den wissenschaftlichen Umgang mit hochsensiblen Themen wie Gewalterfahrungen und Missbrauch und das unseriöse „Expert:innen“ wie Huber den Diskurs mit ihren absurden Ideen und mit missionarischem Eifer vergiften. Denn auch die Sexarbeits-Forschung hat eine solche Vertreterin – seit Jahrzehnten immer wieder von Medienschaffenden, politischen Vertreter:innen und Aktivist:innen zitiert. Ihr Name: Melissa Farley.
Die Amerikanerin Farley gilt im Dunstkreis der abolitionistischen Bewegung als KoryphĂ€e. Die 1942 geborene Psychologin ist die Quelle schlechthin, wenn es um die wissenschaftliche Argumentation gegen Prostitution und Pornografie geht. Dabei arbeitet Farley alles andere als objektiv, genau und ergebnisoffen. Ihre sogenannten Studien sind durchzogen von methodischen MĂ€ngeln, selektiven und tendenziösen Kniffen und jeder Menge Intransparenz. Farley will das Bild von gewaltbereiten Freiern und missbrauchten Frauen zeichnen. Ihr Beweis: die alle paar Jahre vorgelegten, frisierten „Studien“. Was Farley also macht, sie schĂŒrt Ăngste, zeichnet Stereotype, malt eine Welt in schwarz und weiĂ. Die Ăberschneidungen zum PhĂ€nomen der Satanic Panic sind erstaunlich.
Ăber Farley haben wir hier schon hĂ€ufiger geschrieben (einfach den Namen in die Suchmaske eingeben). Aber natĂŒrlich sind wir nicht die einzigen:
- 2019 erschien die 50-seitige Schrift von âDona Carmenâ-Vereinsvorstand Gerhard Walentowitz „Sind Prostituierte traumatisiert? Eine kritische Auseinandersetzung mit Melissa Farley“
- 2023 verfasste BesD-Mitarbeiterin Emma Sophie Roe den Beitrag „Die sogenannte Forschung der Melissa Farley“
Beide Vereine (BesD und Dona Carmen e. V.) haben sich zusammengetan und kĂŒrzlich einen Text mit dem Titel „Alternative Fakten“ Kritischer Kommentar zu Melissa Farleys âMĂ€nner in Deutschland, die fĂŒr Sex zahlenâ veröffentlicht. Auf ĂŒber 50 Seiten durchleuchten die Autor:innen die komplette Arbeit der Melissa Farley mit Fokus auf deren Freier-Studie. Denn das Thema ist mal wieder hochaktuell. So macht sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erneut stark fĂŒr eine Forderung nach einem Sexkaufverbot.
Aus diesem Anlass folgt die Pressemitteilung von Dona Carmen:
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âFake-Scienceâ:
Gezielte Desinformation und Falschangaben in Studie ĂŒber deutsche Freier
Die Untersuchung âMĂ€nner in Deutschland, die fĂŒr Sex bezahlenâ ist eine von vier Studien, auf die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Forderung nach einem Sexkaufverbot stĂŒtzt. Doch eine heute veröffentlichte, umfangreiche Stellungnahme der Prostituierten-Organisationen BesD und Doña Carmen e.V. hat sich eingehend mit der Freier-Studie der US-amerikanischen Psychologin und Prostitutionsgegnerin Melissa Farley befasst und kommt dabei zu einem vernichtenden Urteil.
Zweifelhafte, durchweg intransparente Verfahrensweisen und dubiose, nicht nachprĂŒfbare Ergebnisse kennzeichnen Farleys Freier-Studie â so die Autoren*innen der jetzt vorgelegten Stellungnahme âAlternative Faktenâ:
â StraĂenstrich ĂŒberreprĂ€sentiert: Ăber die HĂ€lfte der nur in zwei deutschen StĂ€dten – Karlsruhe und MĂŒnchen – befragten 96 SexkĂ€ufer hat die von ihnen in Anspruch genommenen sexuellen Dienstleistungen auf dem StraĂenstrich nachgefragt, obwohl der Anteil dieses Segments am Prostitutionsgewerbe deutschlandweit im unteren einstelligen Prozentbereich liegt. DemgegenĂŒber hat eine ebenfalls 2022 publizierte Studie von Prof. Dr. Nicola Döring ergeben, dass 78,6 % der von ihr befragten 2.336 SexkĂ€ufer ihren Bezahlsex in Bordellen (Vgl. âMĂ€nner, die fĂŒr Sex bezahlen â PrĂ€valenz und sexuelle Gesundheitâ) Das belegt nachdrĂŒcklich die mangelnde ReprĂ€sentativitĂ€t der Ausgangsvoraussetzungen und der Ergebnisse der Farley-Studie.
â Teilstudie zu indischen Freiern unveröffentlicht: Die Farley-Studie reklamiert, ein âBericht ĂŒber das Sexgewerbe in 6 LĂ€ndernâ zu sein, doch schon die Teil-Studie zu Indien ist nirgends auffindbar und gar nicht veröffentlicht.
â Freier sind âsexuell aggressivâ: FĂŒr die zentrale Behauptung Farleys, SexkĂ€ufer seien gewaltaffin, fehlt in der Studie jeder Nachweis. So bleibt die Autorin ĂŒberprĂŒfbare Belege fĂŒr bereits begangene Gewalttaten der SexkĂ€ufer gĂ€nzlich schuldig und vermag âBelegeâ fĂŒr eine angeblich gewaltbereite Einstellung von Freiern nur auf methodisch unzulĂ€ssige Suggestivfragen zu stĂŒtzen.
â Vermeintliche O-Töne von Freiern sollen eine unverantwortliche Empathielosigkeit von SexkĂ€ufern belegen und gleichzeitig AuthentizitĂ€t vermitteln. TatsĂ€chlich aber liegt hier in vielen FĂ€llen eine bewusste TĂ€uschung von Leser*innen und Ăffentlichkeit vor. So wird in der deutschen Freier-Studie ein Prostitutionskunde mit den Worten zitiert:
âWas auch immer die Bordellbetreiber den Prostituierten sagten, was sie mit den Kunden machen sollten, die Prostituierten widersprachen nie, sondern befolgten die Anweisungen, egal ob sie es wollten oder nicht. Die ganze Macht lag in den HĂ€nden der Bordellbetreiber. Die meisten Prostituierten trauten sich nicht, mit den Bordellbetreibern zu reden oder zu diskutieren.â (Farley, 2022, S. 27)
Farley versĂ€umt es kenntlich zu machen, dass es sich dabei um die Aussage eines kambodschanischen Prostitutionskunden handelt, den Farley bereits in ihrer vor zehn Jahren veröffentlichten Studie ĂŒber SexkĂ€ufer in Phnom Penh (Farley, 2012, S. 22) zitiert hat!
Die gemeinsame Stellungnahme von BesD und Doña Carmen e.V. bringt Beispiele, die belegen, dass ein solches Vorgehen bei Farley kein Einzelfall ist. âGeltende wissenschaftliche Standards werden beharrlich und systematisch missachtetâ, lautet daher die Schlussfolgerung der 53-seitigen Stellungnahme der beiden Sexarbeiter-Organisationen zur deutschen Farley-Studie.
Das Vorgehen Farleys âerinnert doch sehr an den angeblichen Dokumentarfilm âLove-Mobilâ, der seinerzeit als âauthentischeâ Dokumentationâ vermarktet wurde, bis nach anderthalb Jahren herauskam, dass alles in dem Film nachgestellt und inszeniert warâ, so Juanita Henning, Sprecherin von Doña Carmen e.V.. âEs muss um die Argumente der Verfechter*innen des âNordischen Modellsâ der Freier-Kriminalisierung schlecht bestellt sein, wenn sie es nötig haben, sich auf eine derart windige und zweifelhafte Studie zu stĂŒtzenâ, so Henning.
Angesichts von insgesamt 28 kritischen EinwÀnden bewerten BesD und Dona Carmen die von Melissa Farley vorgelegte Freier-Studie als gescheiterten Versuch, der von Prostitutionsgegner*innen geforderten Kriminalisierung des Sexkaufs eine wissenschaftliche Legitimation zu verleihen.
Die komplette Analyse âAlternative Fakten – Kritischer Kommentar zu Melissa Farleys âMĂ€nner in Deutschland, die fĂŒr Sex zahlenââ zum Download.
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