Letzten Monat in Berlin: Gunda-Werner-Institut lud zu Podiumsdiskussion

Thema: Mein Körper gehört mir! Oder? – Die Debatten um Prostitution

Am 24. Juni lud das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie (Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung) zur Diskussionsreihe „StreitWert – Politik im Dialog“ nach Berlin. Thema des Abends war „Mein Körper gehört mir! Oder? – Die Debatten um Prostitution“.

Auf dem Podium fanden sich neben der Moderatorin Ulrike Baureithel (Wochenzeitung der Freitag) durchweg kompetente Gäste ein. Es diskutierten die Autorin, Journalistin und frühe Aktivistin der Hurenbewegung Pieke Biermann, der Bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, die Juristin Dr. Margarete Gräfin von Galen, die Domina und politische Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, Fabienne Freymadl, die Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin Dr. Mithu Sanyal sowie der Kriminologe und ehemalige Justizminister Niedersachsens, Prof. Dr. Christian Pfeiffer.

In der Ankündigung des Gunda-Werner-Instituts hieß es folgendermaßen:

„In der Prostitutionsdebatte geht es um Körper, Sex und Sexualität. Um Freiheit, Macht und Recht. Um die Rolle des Staates und die Bedingungen des „Fleischmarktes“. Mein Körper gehört mir? Über Brüste und Gebärmutter reden viele mit. Nicht nur bei Sexarbeit, auch bei Abtreibung oder bei der Pille danach. Reden wir also über Selbstbestimmung, Gesetze und Widerstand, auch gegen staatliche Verfügungsmacht. Welche Geschichten von Freiheit und Geschlechtergerechtigkeit wollen wir weiterschreiben? Das hat einen Streitwert!“

Und ehrlich gesagt, war es die eloquenteste, intelligenteste, vielschichtigste und sinnvollste Podiumsdiskussion/öffentliche Auseinandersetzung auf Augenhöhe, die ich bisher gesehen habe. Interessant war auch, dass das Thema aus allerhand bekannten aber auch neuen Blickwinkeln Betrachtung fand. Die nur allzu oft praktizierte, mit Klischees und Halbwahrheiten gespickte Demagogie, wie sie konservative Frauenrechtlerinnen und Vertreter_innen christlich fundamentalistischer Vereinigungen gerne betreiben, blieb hier weitgehend (eine Ausnahme) aus.

Wer duzt, der kann nicht Recht haben

Naja, und eine Zuwortmeldung aus dem Publikum (in Minute 54) reißt vom Hocker. Die Zuschauerin sprach den Gästen komplett deren Professionalität ab. Hier mal – das muss jetzt einfach sein – ihre Ausführung im Wortlaut:

„Ich würde gerne zu allem, was da gesagt wurde, Widerspruch einlegen. Aber was meinen Adrenalinspiegel wirklich ungeheuerlich in die Höhe getrieben hat, ist die unprofessionelle Art und Weise, wie Sie das geleitet haben. Also ich würde Sie wirklich … lassen Sie mich …. Sie sagen wir, Sie lassen das so assoziativ hinplaudern, Sie haben es nicht strukturiert und Sie duzen die Diskussionsteilnehmer und und sagen „wir“ und zelebrieren dort eine Art von Kollusion, die ich völlig unprofessionell bitte. Ich bin wirklich gespannt ob Sie den Christian Pfeiffer in der zweiten Teil der Debatte auch duzen.“

Ja, wenn man die Diskussionsteilnehmer duzt, dann kann man in seinen Ausführungen schon mal von Grund auf nicht Recht haben! Da ist es dann auch nicht weiter schlimm, dass man den Sinn ihrer restlichen Ausführungen mal so überhaupt nicht erfassen kann. Was sagt die Frau? Was meint sie mit assoziativ hinplaudern? Was soll das mit der Kollusion? Eine Kollusion (Privatrecht) ist das rechtlich unerlaubte und sittenwidrige Abstimmungsverhalten mehrerer Akteure mit dem Ziel, einen Dritten zu schädigen. Aber von Kartellbildung kann in diesem Zusammenhang doch gar keine Rede sein!

Aber so läuft die Argumentationsbasis prostitutionsfeindlicher Rechthaberinnen ständig ab… Hauptsache Stunk machen. Und die Mimik von Dr. Mithu Sanyat spricht Bände. Ulrike Baureithel klärt zwar noch auf, warum geduzt wurde, aber sie oder auch die anderen Gäste können dann nichts weiter zur Kritik sagen. Wie auch, kann ja keiner verstehen, diesen grammatikalischen und sinnfreien Quatsch.

Und wieder der Herr Pfeiffer

Eine kleine Außenseiterrolle – wenn man so will – unter den Gästen hatte allerdings Herr Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen). Was heißt „klein“. Ihm selber stößt das auf und er bezeichnet das als „Unsouverän von der Heinrich Böll Stiftung“. Mag seine Kritik aus seiner Sicht verständlich sein. Allerdings in vielen anderen Talkshows, Podiumsdiskussionen etc. sind die Prostitutionsbefürworter regelmäßig in der Unterzahl. Soll er sich jetzt also nicht so haben. Zudem erklärte die Moderatorin ihm noch, dass dies „keine Veranstaltung Pro oder Contra Prostitution“ sein soll, sondern eine, welche „den Streitwert dieser aktuell geführten Moralisierungsdebatte“ zu erkunden versucht. Es gehe zudem explizit nicht um das Thema Menschenhandel.

Ja, weiter oben habe ich erwähnt, die Runde sei durchweg kompetent gewesen. Das möchte ich an diesem Punkt gleich mal relativieren. Ja, Pfeiffer mag zwar in vielen Dingen Kompetentz beweisen, aber bei dem Thema Prostitution? Nööö. Und wie schon in der Sendung Tacheles (siehe meine Zusammenfassung sowie mein Versuch Pfeiffers Angaben zu ergründen) war sein Auftritt von Plattitüden und Verallgemeinerungen geprägt. Nur gab er sich dieses mal streitbar, besserwisserisch, verletzt und eingeschnappt – er war ja schließlich Minorität, wurde vorab falsch informiert und was weiß ich noch alles. Wer jetzt denkt, er als gestandener, intellektueller, lebenserfahrener Mann (70 Jahre alt) sollte damit spielend zurecht kommen, der irrt. Hier einige seiner Standpunkte:

– Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes habe es eine „ungeheure Explosion des Geldverdienens im Rotlichtmilieu“ gegeben. Aber Herr Pfeiffer: Wo sind ihre Beweise? Das ist doch eine Mär. Und außerdem würden ihnen da diverse Prostituierte und ehemalige „Luden“ der 80er und 90er Jahre widersprechen.

– Das Prostitutionsgesetz wäre ursächlich für die Existenz von Flatratebordellen. Dann schweift er sofort ins Thema Menschenhandel ab. Aber Herr Pfeiffer: Zuallererst ist es unverschämt, frei heraus zu behaupten, Sexarbeiterinnen in Flatratebordellen seien Opfer von Menschenhändlern. Und zweitens hat der Straftatbestand „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ nichts mit dem Prostitutionsgesetz zu tun. Er ist Inhalt des Strafgesetzbuches.

– Er behauptet pauschal (vielleicht ungewollt, weil in einem anderen Zusammenhang), Prostituierte, welche eine Beratungsstelle in Hannover aufsuchten, hätten sich dorthin geflüchtet. Aber Herr Pfeiffer: Hilfe, Beratung und Unterstützung suchen ist nicht Gleich Flucht! Wortwahl ist in solchen Dingen extrem wichtig!

– Er findet es „unmöglich, dass seit 2002 die Polizei nicht unangemeldet in Bordellen auftauchen darf“ Aber Herr Uhl, äääh Herr Pfeiffer: In Bayern darf sie das. Und warum sollte sie. Damit würde ja das Gewerbe (Betreiber, Angestellte, Sexarbeiterinnen …) ohne jegliche Anhaltspunkte von Grund auf kriminalisiert. In welcher anderen Branche bitteschön darf die Exekutive willkürlich Razzien durchführen? Außerdem: Allein in Nordrhein-Westfalen gab es im Jahr 2013 genau 821 Razzien und Kontrollen. Was bitte wollen Sie?

– „Frittenbude-Argument“: Herr Pfeiffer: Sind Sie und Herr Uhl vielleicht doch ein und die selbe Person, nur mit unterschiedlichen Menschenkostümen?

– „Dieser radikale Wandel der Szene erfordert, dass man im Interesse, zum Schutz dieser Frauen, die dort tätig sind das ganze Überwacht, kontrolliert … die Tatsache, dass die Polizei heute nicht unangemeldet rein kann, dass sie keine Zuverlässigkeitsüberprüfung gemeinsam mit den Gewärbeämtern machen kann […] ist absurd.“ Aber Herr Pfeiffer: Sie schützen doch niemandem, indem sie ihm seiner Freiheit berauben, ihn permanent überwachen und kontrollieren… . IHR Argument ist absurd!

Zuwortmeldungen aus dem Publikum

Gut, weg von Herrn Pfeiffer. Man muss ihm ja nicht übermäßig Aufmerksamkeit schenken. Schließlich haben die Beiträge der anderen Gäste deutlich mehr Gewicht und Qualität. Das trifft auch auf diverse Zuwortmeldungen aus dem Publikum zu. Bspw. von Frau Henny Engels vom Deutschen Frauenrat, die dazu aufrief Prostitution zu akzeptieren, wenn man selbst auch nicht verstehen könne, warum jemand das freiwillig tut. Eine Mitarbeiterin einer christlichen Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel hob u.a. hervor, wie wichtig es sei zwischen Zwangsprostitution und Sexarbeit zu differenzieren. Wichtig auch der Kommentar von Alexa Müller (Hydra e.V), welcher im Zuge der deutschlandweit geführten Debatte seriöses Wissen, seriöse und partizipative Forschung sowie die Beachtung von Freiern fehle. Freier nicht außen vor zu lassen forderte ebenfalls ein Soziologe. Zudem revidierte er einige fehlerhafte Aussagen von Herrn Prof. Pfeiffer. Wie er sagte, beschäftige er sich beruflich gerade mit Freierforen. Mal gucken, wann und welche Erkenntnisse von diesem Herrn in der Zukunft veröffentlicht werden… .

Hier noch eine kleine Auswahl an interessanten Zitaten:

Dr. Mithu Sanyal: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir alles über Sex verkaufen. Wir verkaufen Autos mit Sex, wir verkaufen Cornflakes mit Sex … nur wenn wir Sex verkaufen, dann überschreitet das eine Grenze. Das zeigt natürlich auch nochmal die Absurdität dieser Logik.“

Pieke Biermann: „Mir ist das Kinn richtung Kniescheibe gerutscht – pausenlos, wenn ich gehört habe, mit welchem Schaum vor dem Mund nicht nur Alice Schwarzer, sondern auch alle mäglichen „Verbündeten“ meinen, über Prostituierte und Prostitution reden zu können und aus jedem zweiten Wort spricht die blanke Ignoranz. Und nicht nur Ignoranz sondern das mutwillige Nicht-Wissen-Wollen worüber sie eigentlich reden. Und mit einem Furor und mit einer Verächtlichkeit, die mich wirklich verstört hat.“

Dr. Margarete Gräfin von Galen: „Ich würde sagen, nicht das Prostitutionsgesetz ist gescheitert, sondern wenn man hier etwas scheitern sehen will, dann ist es möglicherweise die Erweiterung der Europäischen Union um Rumänien und Bulgarien.“

Fabienne Freymadl: „Wenn das Zwangsprostitution ist, dass ich meinen Lebensunterhalt verdiene, dann möchte ich aber bitte auch, dass wir die Zwangspolizisten retten, die Zwangsputzfrauen, die Zwangsjournalisten und die Zwangsmoderatorinnen.“

Wer sich die 140-minütige Aufzeichnung ansehen will, der findet sie auf dem Youtube-Kanal der Heinrich-Böll-Stiftung.

StreitWert-Blog

Parallel zur Veranstaltung im Hause der „Heinrich Böll Stiftung“ hatte das 2007 gegründete Gunda-Werner-Institut dazu aufgerufen, in seinem Blog Beiträge zur Frage „Was ist der StreitWert?“ beizusteuern. Stefanie Lohaus, Dr. Mithu Sanyal, Anja Schmidt, Sabine Carl und Weitere taten dies und führten die Prostitutionsdebatte damit einen kleinen Schritt weiter – ein Stückchen weg von der hochemotionalen und (schein)moralisierten Ecke hin zu einer rationalen und objektiven Basis. Lediglich in etwaigen Kommentaren äfften ein paar Besserwisserinnen (wie sollte es auch anders sein und das war ja auch zu erwarten) unreflektiert und selbstverherrlichend die bekannten Verallgemeinerungen und Märchenbilder (Ja, Märchen sind meist durchweg unlogisch) sowie den kruden Zahlenhokuspokus von SOLWODI, Schwarzer, Constabel und Co. nach und zeigen damit einmal mehr, wie notwendig eine ehrliche Auseinandersetzung, wie die hiesige ist.

Fazit: Note 1 für das Gunda-Werner-Institut

rmv

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