Politisch-Persönliches Kalkül: Schwesig ignoriert Belange von Prostituierten

Juristisch ist das von der Ministerin unterstützte Arbeitsverbot schon lange nicht mehr zu rechtfertigen

Für Menschen in der Sexarbeit hat „das derzeitige Arbeitsverbot schwere ökonomische, soziale und psycho-emotionale Folgen“, heißt es in einer Stellungnahme der „SeLA – Beratungsstelle für Menschen in der Sexarbeit in Rostock“ von vor zwei Wochen. Weiterhin heißt es:

„SeLA sieht in der stillen Verweigerung der Öffnung der Arbeitsstätten mittlerweile eine diskriminierende Haltung gegenüber Sexarbeit. Die ohnehin schon stigmatisierte vulnerable Gruppe der Sexarbeiter*innen, die mit dem 2017 in Kraft getretenem ProstituiertenSchutzGesetz geschützt und gestärkt werden sollten, wird mit dem nicht enden wollendem Arbeitsverbot in unverantwortliche und gefährliche Situationen gedrängt.[…]

Die Unverhältnismäßigkeit Prostitution zu untersagen und in allen anderen Bereichen weitestgehend zu lockern, lässt sich auch juristisch nicht mehr rechtfertigen.“

Gestern dann lud die Schweriner Staatskanzlei zur Pressekonferenz mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Wirtschaftsminister Harry Glawe zu den Ergebnissen des MV-Gipfels. Könnte heute Klarheit geschaffen werden? Kommt endlich das notwendige Statement der Ministerpräsidentin? Wann können Prostituierte in MV endlich wieder arbeiten?

Wie zu erwarten thematisierte Schwesig das Thema Prostitution nicht in einem einzigen Satz. Aber dann: Nordkurier-Journalist Andreas Becker fragte nach. Im Livestream der PK ist er leider nur sehr schlecht zu verstehen:

„Gab’s noch irgendwelche zusätzlichen Lockerungen heute noch, die noch beschlossen wurden [… Klage … von den Beteiligten …] – ich denke da z.B. an Prostitution, [unverständlich] Gibt es da ein Zeitfenster [unverständlich]?“

Ohja, jetzt muss Schwesig antworten und kann sich nicht mehr herauswinden. Höchstens kann sie sich unwissend geben. Aber was dann kommt, kann man sich nicht ausdenken. Schwesigs Antwort:

„Weitere Lockerungen sind heute noch nicht verabschiedet worden. Aber klar ist, dass wir über das Thema Betriebsfeiern, Weihnachtsfeiern, Laternenumzüge und auch Karneval noch im folgenden beraten wollen und entscheiden wollen wie wir mit diesen Thema umgehen. Ähm, heute Stand im Fokus wirklich die Vorbereitung des kompletten Gesundheitswesens auf Herbst und Winter, äh, der Schutz von Unternehmen und Wirtschaft, ähm für Herbst und Winter und der Zukunftsrat.

Und ich sag mal diese Einzelthemen die noch offen sind, wollen wir parallel jetzt beraten und der nächste MV-Gipfel findet am 21.10. statt […] und da ist es dann möglich weitere Entscheidungen zu treffen.“

What? Auf die Frage nach Lockerungen hinsichtlich der Prostitution kommt eine Aussage über das bereits zuvor ausführlich besprochene Thema Betriebs- und Weihnachtsfeiern? Wie Kackedreist kann man denn sein? Auch weil sie es komplett verweigert das Wort Prostitution auch nur in den Mund zu nehmen – „mögliche weitere Entscheidungen“ nennt sie es.

Und damit war das Thema dann gegessen. Warum haben wir in MV keinen Thilo Jung sitzen? Der hätte Schwesig aber mal sowas von „genervt“ und ihr eine echte Antwort abverlangt.

Auf den Punkt trifft es auch @Basso Continuo auf Twitter. er tweetet

„Der @Nordkurier fragt konkret nach Lockerungen für Prostitution, und @ManuelaSchwesig zählt genüsslich mit den Fingern auf, „dass wir über das Thema 1. Betriebsfeiern, 2. Weihnachtsfeiern, 3. Laternenumzüge, und 4. auch Karneval noch sprechen wollen.“ Wenn das nicht boshaft ist!“

Und der Fragesteller Andreas Becker? Er schrieb für den Nordkurier: „Schwesig bleibt bei der Prostitution hart. Trotz vergleichsweise geringer Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern bleibt es im Rotlicht-Milieu dunkel.“

Im Artikel verweist er dazu auf die Wiederaufnahme der Sexarbeit in den Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein (seit dem 15. September). Leider gibt er die Haltung im Rotlicht zu Schwesigs Kalkül nur ansatzweise wider:

„Bei Betroffenen in MV ist die Enttäuschung über diesen Prostitutions-Sonderweg in ihrem Bundesland groß. Mit Blick auf die besonders niedrigen Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern und der Erlaubnis von zahlreichen Zuschauern bei Sportveranstaltungen hatten sie mit einem Ende der Restriktionen fest gerechnet.“

„Enttäuschung“ ist sicher das falsche Wort. Denn Schwesig fördert hier wissentlich schwere ökonomische, soziale und psycho-emotionale Folgen der Prostituierten. Folglich unterstützt sie in vollem Maße deren daraus resultierende Arbeit in der Illegalität.

Und wer jetzt einwerfen mag, dass Prostitution auch in Hessen, Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg noch nicht wieder erlaubt ist, dem seien noch einmal die vergleichsweise sehr geringen Infektionszahlen in Mecklenburg-Vorpommern vor Augen gehalten. Dazu die Übersichtlichkeit der hier arbeitenden Sexworker. Und wenn die Hygieneauflagen meinetwegen strenger als anderswo in der Republik wären, wäre das auch OK. Aber nach dieser Handhabe ist ein Prostitutionsverbot weder juristisch noch verhältnismäßig haltbar. Schwesig handelt hier wieder völlig offensichtlich aus reinem persönlichen Interesse und mit stumpfen Kalkül. So, wie es immer schon bei diesem Thema war. Ihre Abneigung gegen sexuelle Dienstleistungen (in all ihren Formen) konnte sie dabei nicht ein einziges Mal mit validen Daten oder wissenschaftlich neutralen Erkenntnissen belegen.

rde

Links

Pressekonferenz mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Wirtschaftsminister Harry Glawe zu den Ergebnissen des MV-Gipfels. Stream auf Facebook

Nordkurier Artikel „Schwesig bleibt bei der Prostitution hart“

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