„Selten habe ich mich so verachtet gefühlt“

Sexarbeiterin und Sexualassistentin Nicole Schulze wehrt sich gegen CSU-Politikerin Dorothee Bär

„Wir wissen beide, wie viel Courage es braucht, sich in einer Gesellschaft zu outen, die uns oft verurteilt, stigmatisiert und ausgrenzt“, schreibt Nicole Schulze, von Beruf Straßen-Sexarbeiterin in ihrem Beitrag auf prostitutionspolitik.net. Schulze schreibt über ihren Auftritt in der RTL-Sendung stern TV am 16.10.24. Und mit „wir“ meint sie sich sowie die für das Reportage-Magazin zugeschaltete Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär (CSU). Aber Schulze schreibt noch mehr, viel mehr. Denn das Thema bei Moderator Steffen Hallaschka war schwer. Es ging um die (Un)Möglichkeit eines Sexkaufverbots. Zumindest in der Theorie. In der Praxis passiert nämlich stets das, was Nicole Schulze oben anmerkte: Die Gesellschaft verurteilt, stigmatisiert und grenzt aus. Allen voran Frauen wie die erklärte Abolitionistin Bär. Das dann auch mit einer Vehemenz, die erschüttert. Wie man als Frau, als einstige Staatsministerin, als Bundestagsabgeordnete, als Mitglied des Kuratoriums ‚Bundeszentrale für politische Bildung‘ gegen andere selbst bestimmte Frauen austeilen, nein hetzen kann, verschlägt einem die Sprache.

Sie nannte mich krank und geschunden.

Auf prostitutionspolitik.net beschreibt es Nicole Schulze so: „Sie sprach nicht sachlich, sondern nur emotional und moralisch. Ich dachte: Was ist mit mir und all denjenigen, die freiwillig in der Branche arbeiten? Doch es kam, wie so oft. Sie beleidigte uns, stellte uns als unnormal hin und griff uns an. Sie behauptete sogar, weil ich Mitglied im BesD bin, dem angeblich Zuhälter und Betreiber angehören (was natürlich eine frei erfundene Lüge ist), könne man mir nicht glauben. Sie hält sich offenbar für was Besseres… Meine Wut stieg, aber ich musste mich zusammenreißen – es war eine Live-Sendung. […] Als ich endlich sprechen durfte, kämpfte ich mit meiner Wut. Der Moderator versuchte, eine Diskussion in Gang zu bringen, doch die Politikerin sprach über mich, nicht mit mir. Sie nannte mich krank und geschunden. Das war für mich ein Akt der Gewalt, der zeigte, wie wenig Respekt sie für mich und für uns hat.“

Die Doppelzüngigkeit und Niedertracht, die der Unionspolitikerin innewohnt, haben wir hier im Blog ja schon des öfteren thematisiert. eigentlich nichts Neues. Doch man glaubt ja stets an das Gute im Menschen, an den Lernwillen, die Bereitschaft zum Konsens, den zwischenmenschlichen Respekt. Zum Glück ist das einigen möglich. Frau Bär wohl absolut nicht. „Sie sprach die ganze Zeit von „Menschenwürde“ und trampelte vor Millionen von Menschen auf meiner Menschenwürde herum, als sei sie nichts wert. Sie sprach vom Trauma der Prostitution, merkte aber nicht, wie sie selbst zur Täterin wurde – denn mir hat dieses Gespräch unfassbar weh getan“, zeigt sich Schulze berechtigt emotional.

„Meine Kunden verhalten sich hier deutlich respektvoller.“

Die Sexworkerin, die auch Sexualassistenz für Menschen mit Behinderung anbietet, will das nicht auf sich Sitzen lassen. Schiebt nicht nur mit ihren Gastbeitrag auf dem Szene-Blog nach. Zwar wird das Menschen wie Bär wenig jucken, vielleicht beachtet sie die Zuwortmeldungen nicht einmal, doch Schulze wendet sich zusätzlich per offenem Brief an sie. Ihre Worte sind nicht minder wehement und deutlich. „Selten habe ich mich so verachtet gefühlt. Meine Kunden verhalten sich hier deutlich respektvoller. Es war hart zu hören, dass Sie uns als krank und geschädigt bezeichnen. Sie haben nicht mit mir und mit uns gesprochen, sondern über mich und über uns – und das in unserer Anwesenheit. Ein respektloseres Verhalten kann ich mir kaum vorstellen“, schreibt sie in Richtung der CSU-Frau.

Ja, Schulze findet deutliche Worte. Aber immer ohne zu beleidigen oder diffamieren. Sie fordert für sich und ihre Kolleginnen Respekt ein – wie sie ihn bspw. im Landtag bei der Frauenunion der CDU NRW erfahren habe, als sie dort als Expertin zu Gast war. Dass man mit und nicht über sie redet, dass man begreift „was hinter der Arbeit steckt, die wir tun, dass wir auch ganz normale Menschen sind, die durch harte Arbeit ihr Geld verdienen.“ Zu einem respektvollen Umgang gehöre auch, dass ein Statement nicht „auswendig gelernt“ rüber kommt. Und dann möchte, nein erwartet sie noch etwas: eine Entschuldigung. „Sexarbeit ist ein wichtiges Thema, und wir verdienen es, dass man uns ernst nimmt. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass meine Arbeit nichts wert ist. Das Grundgesetz sagt etwas anderes.“

Wie gesagt, Bär wird das wahrscheinlich nicht zur Kenntnis nehmen. Und wenn, dann mit einem müden Lächeln. Warum sollte sie ihre repressive Einstellung auch ändern? Sie hat gelernt, dass ihr ein extrem konservativer und verunglimpfender Ton Aufmerksamkeit, gar Erfolg verspricht. Nach unten treten und dabei so tun, als würde man die Interessen der getretenen vertreten, kann sie. Denn immer auf der Seite der Minderheiten (Ironie) ist sie nicht nur beim Thema Sexarbeit/Prostitution. Auch wenn es um Schwangerschaftsabbrüche, um die Rechte queerer Menschen oder um Asylsuchende geht, ist Bär mit ihrer „Expertise“ am Start.

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