ZDF-Doku „Bordell Deutschland“ verletzt Pressekodex

Mehrfacher Verstoß gegen die journalistischer Sorgfaltspflicht: Aussagen wie „Im Rotlicht-Milieu dominieren kriminelle Organisationen – und mit ihnen das Verbrechen, Frauen- und Drogenhandel.“ oder „zwischen 400.000 und 1 Million Prostituierte in Deutschland“ u.v.m. spotten guter Recherchearbeit.

„Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. […] Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen“, heißt es im 2. Punkt des deutschen Pressekodex. Leider hält sich in Zeiten der sogenannten Fake-News nicht jedes Presseorgan daran. Warum auch, ist der Kodex mitsamt seinen 16 Punkten letztendlich nur eine Empfehlung, die Sanktionen entsprechend harmlos. Ein Grund, warum gerade der Boulevard-Journalismus mit der Ausschmückung von Tatsachen bzw. der Wahrheit seit jeher grenzwertig umgeht. Nicht so die öffentlich rechtlichen Medien! Schön wär’s. Das Gegenteil zwigt die kürzlich veröffentlichte ZDF-Dokumentation „Bordell Deutschland – Milliardengeschäft Prostitution“. Ihr Autor, Christian Stracke, von der Produktionsfirma „medi cine“ will sich dafür lange und umfassend in die Materie eingearbeitet haben. Immerhin verlange „die Realisation des Themas Prostitution und Menschenhandel ein Höchstmaß an Sensibilität im Umgang mit den Protagonisten“, heißt es in der ZDF-Pressemappe.

Dass die Doku aber alles andere als eine neutrale und sorgfältig recherchierte Arbeit ist, geschweige denn die nötige Sensibilität zeigt, wird schnell deutlich. Allein in den ersten 20 Minuten werden bereits etliche der gängigen Klischees aufgewärmt, Verallgemeinerungen gemacht und sensationshascherisch, oberflächlich berichtet. Die restlichen 70 Minuten werden nicht besser. Man bekommt auch den Eindruck, dass er von Beginn an ausschließlich bestehende Ressentiments bedienen wollte und eine tiefgreifende Recherche (Beschäftigung mit methodisch korrekten bzw. evidenten Studien) nicht für nötig hält. Allein die Wahl einiger der sogenannten „Experten“ (bekannte Abolitionisten) scheint zweifelhaft. Teilweise wird fast 10 Jahre altes Videomaterial aufgewärmt. Den Punkt 2 des Pressekodex betreffend, heißt das, dass die journalistische Sorgfalt fehlt und unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen gerade nicht als solche erkennbar gemacht wurden. Näher betrachtet sind teils auch die Punkte 10 (Verzicht auf Schmähung sittlicher Überzeugungen) und 12 (Verbot der Diskriminierungen sozialer Gruppen) missachtet worden.

An dieser Stelle weisen wir auf den 21 Seiten fassenden, kritischen Kommentar von Doña Carmen e.V., dem wir umfänglich zustimmen. Mit umfänglichen Quellenangaben, Zahlenmaterial, Richtigstellungen und Analysen macht der Verein hier das, was man eigentlich vom ZDF und seinen Auftragnehmern (C. Stracke) erwarten sollte.

Kritischer Kommentar von Doña Carmen – Auszüge:

1.
„Seit der Prostitutions-Legalisierung immer mehr Prostituierte“? […] Einer, der diese Angst vor der Überfremdung und Überflutung stets mit anheizte und auf diese Weise Stimmung gegen die Legalisierung der Prostitution schürt, ist der ehemalige Ulmer Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus. […] Doch seine Behauptung ist schlicht falsch. Es hindert jedoch die ZDF-Filmemacher nicht, daran unbesehen anzuknüpfen.

Berlin und Hamburg zeigen im Übrigen, dass anfängliche Zuwächse auf die Migrationsbewegungen in den 90er Jahren nach dem Mauerfall, nicht aber auf die „Legalisierung“ von 2002 zurückzuführen sind. Es spricht einiges dafür, dass dies auch in anderen Städten wie etwa Frankfurt der Fall gewesen sein dürfte.
Dass also der Zuwachs ein Produkt der „Legalisierung“ von 2002 gewesen sein soll – das ist Schall und Rauch. Sauber recherchiert, Herr Stracke!

2.
„Das Geschäft boomt mit teilweise bizarren Auswüchsen. Von Flatrate- über Edel- bis hin zu sogenannten Gangbang-Bordellen, in denen eine Prostituierte mit mehreren Männern gleichzeitig Sex hat – nichts scheint unmöglich.“ So liest man in der Ankündigung der ZDF-Doku.

Das ZDF verschweigt in seinen Ankündigungen vom November 2017, dass sowohl Flatrate- wie Gangbang-Angebote bereits seit Juli 2016 vergangenen Jahres nach dem neuen Prostituiertenschutzgesetz verboten sind. Also doch „unmöglich“! Ein klarer Fall von Desinformation!

3.
„Der ehemalige Leiter des Dezernats „Sexuelle Gewalt und Rotlichtkriminalität“ in Ulm, Manfred Paulus, beobachtet die Szene seit Jahrzehnten und warnt: „Deutschland ist zur Drehscheibe für Zwangsprostitution geworden.“

Diese Behauptung hat einen Bart und ist sachlich falsch. Sie wird auch nicht durch Wiederholung wahr. […] Mithin sind 99,7 % aller Frauen keine Opfer von Menschenhandel. […] Selbst wenn eine Dunkelziffer existierte, die ein „Vielfaches“, z.B. das 20-fache der genannten Zahl wäre, bliebe die Zahl der nicht-gehandelten Sexarbeiter/innen immer noch bei 99 %! […] 20 EU-Staaten haben eine höhere Kennziffer „MH-Opfer pro 100.000 Einwohner“ als Deutschland, obwohl Deutschland angeblich das „Bordell Europas“ sein soll! […] Gleichwohl nimmt sich die ZDF-Doku vor, das genaue Gegenteil zu behaupten.

4.
„Ebenfalls erschreckend: Die Zahl der minderjährigen Opfer ist 2015 im Vergleich zum Vorjahr um rund 40 Prozent gestiegen – damit war fast jedes fünfte Opfer unter 18 Jahren.“ So die ZDF-Pressemappe.

Die Nennung einer einzigen singulären, aus dem Zusammenhang der Entwicklung gerissenen Prozentzahl soll einen Schreck-Effekt produzieren. Es handelt sich um primitive Effekthascherei. Ein Blick auf die Zeitreihen-Statistik, insbesondere auf die absoluten Zahlen der minderjährigen Opfer von Menschenhandel verdeutlicht, dass man es durchaus nicht mit neuen, gänzlich außergewöhnlichen Größenordnungen zu tun hat.

5.
„Neun von zehn Frauen zur Prostitution gezwungen“ – Ist Freiwilligkeit in der Prostitution ein „Mythos“?

Aussteigerinnen aus der Prostitution sollten das Recht haben, gehört zu werden. Selbstverständlich gibt es Frauen, die mit der Prostitution nicht zurechtkommen und sie möglichst schnell hinter sich lassen sollten. Das alles aufzuzeigen und zu dokumentieren, ist legitim. Etwas anderes aber ist es, diese Einzelschicksale und deren Leid zu missbrauchen, um alle Prostituierte als geschädigt, als traumatisiert und als Opfer von Gewalt zu präsentieren.

Eine Dokumentation, die die Behauptungen, Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung seien der „Alltag von Prostituierten“ und „Neun von zehn Frauen sind zur Prostitution gezwungen“ nur mittels der „authentischen“ Aussagen einiger Aussteigerinnen belegt, ohne sie an den gegenteiligen Befunden in wissenschaftlichen Publikationen und Kriminalstatistik zu messen, muss sich freilich vorwerfen lassen, das Gegenteil einer „sauberen Recherche“ zu sein.

6.
Für die ZDF-Doku ist Prostitutionsgewerbe ein „kriminelles System“. Wieder ist Alt-Polizist und Sex & Crime-Ideologe Manfred Paulus der Kronzeuge: „Das Rotlicht wird von organisierter Kriminalität beherrscht…“. Mit seinen diesbezüglichen Veröffentlichungen („Organisierte Kriminalität – Menschenhandel“ (2014) und „Im Schatten des Rotlichts – Verbrechen hinter glitzernden Fassaden (2016)) vermag Paulus wohl einige Bunte-Leser/innen erbauen. Doch seine Stories sind bar jeglicher verifizierbarer Empirie. Gleichwohl schließt sich die ZDF-Doku diesen Behauptungen vorbehaltlos an:

Es gibt in Deutschland nur zwei wissenschaftliche Studien, die sich empirisch mit dem Verhältnis von Prostitution und OK am Beispiel „Menschenhandel“ auseinandersetzen. […]

Wenn etwas statistisch erwiesen ist, dann ist es der Rückgang der Fall- und Opferzahlen bei einschlägigen Rotlicht-Delikten. Dieser Rückgang ist derart ausgeprägt, dass auch Dunkelfeld-Fantasien dagegen nicht ins Feld geführt werden können. […]

Es ist kaum zu erwarten, dass die „saubere Recherche“ des Herrn Stracke über solche Mutmaßungen hinauskommt und sich mit den hier genannten Fakten auch nur entfernt auseinandersetzen wird. Man wird sie verschweigen. Stattdessen darf ein Herr Paulus – der immer gerne mit der katholischen Anti-Prostitutions-Organisation SOLWODI und der CSU in osteuropäische Länder reist – am späten Samstagabend plaudern und Geschichten von der Organisierten Kriminalität zum Besten geben.

Würde das ZDF es wagen, in anderen Branchen ähnlich vorzugehen und mit Verweis auf verurteilte kriminelle Banker die Abschaffung des Bankgewerbes oder mit Verweis auf korrupte Politiker die Abschaffung der hiesigen Parteienlandschaft zu fordern – das letzte Stündlein dieser Fernsehanstalt hätte geschlagen und Typen wie der TV-Filmer Christian Stracke hätten einen Auftraggeber weniger.

8.
Die Traumatherapeutin Ingeborg Kraus vergleicht den Beruf der Prostituierten mit dem von Soldaten, ihre traumatischen Erfahrungen mit denen von Folteropfern. Fast 70 Prozent der Frauen leiden unter Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung: „Dieser Beruf ist gefährlicher, als in den Krieg zu ziehen.“

Kraus ist mit keinen eigenen Forschungsarbeiten zu Prostitution hervorgetreten. […] Für Deutschland gibt es diesbezüglich nur eine einzige Studie zum Zusammenhang von Prostitutionsausübung und Traumatisierung, auf die sich Kraus dann auch bezieht. Es handelt sich dabei um die im Jahre 2001 unter dem Titel „Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatischer Belastungs-störungen und Dissoziation bei Prostituierten“ veröffentlichte „explorative Studie“ der Hamburger Psychologin Sybille Zumbeck. […] Diese These darf sie nun auch in der ZDF-Doku zum Besten geben, ohne dass auch nur im Ansatz dargestellt wird, welche bescheidene Reichweite und zweifelhafte Qualität die Aussagen der Zumbeck-Studie eigentlich haben.[…]

Ingeborg Kraus und mit ihr das ZDF verschweigen all diese Zusammenhänge komplett. Stattdessen werden die problematischen Ergebnisse der Zumbeck-Studie – wider besseres Wissen – unzulässig und bedenkenlos auf die gesamte Prostitution übertragen. Das ist nichts anderes als pseudowissenschaftliche Scharlatanerie.[…]

Das ganze mündet dann in den methodisch unzulässigen Vergleich zwischen Kriegsopfern und Sexarbeiter/innen, dessen Größenverhältnisse an den Haaren herbeigezogen und ohne jegliche wissenschaftlich substanzielle Aussage sind.

Fazit:
Es ist gerade einmal anderthalb Jahrzehnte her, dass Prostitution hierzulande die rechtliche Anerkennung als Beruf erfahren hat und die Tätigkeit von Sexarbeiter/innen in einem ersten Schritt entdiskriminiert wurde. Jetzt versucht man, diese Entwicklung wieder zu kippen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen beteiligt sich nunmehr in vorderster Front an diesem schäbigen Versuch einer erneuten Entrechtung von Sexarbeit.

Die Dokumentation zum anschauen:

ZDF-Mediathek (abrufbar nur von 22 bis 06 Uhr): https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/bordell-deutschland-milliardengeschaeft-prostitution-102.html

Youtubehttps://www.youtube.com/watch?v=r3BQGu9cPHE

Kommentar von Dona Carmen als Download (pdf):

ZDF-Doku „Bordell Deutschland“: Wie das ZDF-Publikum verschaukelt wird. Mit Fake News Stimmung gegen ‚freiwillige Prostitution‘ – Ein kritischer Kommentar von Doña Carmen e.V. 

Tipp: Eine umfangreiche Veröffentlichung über die Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit, über die SexarbeiterInnen und den Sexmarkt als auch der emotional und wenig sensibel geführten Aufarbeitung/Diskussion zur Prostitution kommt von der Diplom-Soziologin Helga Amesberger. Unter dem Titel „Sexarbeit: Arbeit – Ausbeutung – Gewalt gegen Frauen? Scheinbare Gewissheiten“ ist es in der Januar-Ausgabe 2017 der Zeitschrift „ethikundgesellschaft – ökumenische zeitschrift für sozialethik“ erschienen und ist als pdf-Datei frei zugänglich:

Amesberger, Helga (2017): Sexarbeit: Arbeit – Ausbeutung – Gewalt gegen Frauen? Scheinbare Gewissheiten. (Ethik und Gesellschaft 1/2017: Sozialethik der Lebensformen). Download unter: https://dx.doi.org/10.18156/eug-1-2017-art-4 (Zugriff am [23.11.2017]).

rmv

Nachtrag, 06.12.2017: Heute hat auch die in der Doku zu Wort gekommene BesD-Vorsitzende Stephanie Klee eine Stellungnahme veröffentlicht. Auf ihrer Facebook-Seite erklärt sie, der Beitrag entspäche nicht journalistischen Anforderungen. Er sei tendenziös, unausgewogen, paternalistisch und stelle zum größten Teil die Branche in ein völlig falsches Licht. Aus diesen und weiteren Gründen fühle sie sich „nicht ernst genommen und hintergangen“. Klee weiter: „Offensichtlich war dem Journalisten, der Produktionsgesellschaft und dem ZDF von vornherein das Ziel dieser „größten“ Recherche der Prostitution klar: Die Ausbeutung, die Gewalt, die Kriminalität, die Unfreiwilligkeit, die Verletzungen, insbesondere die der sexuellen Selbstbestimmung sollten drastisch und überzogen dargestellt werden, nicht in Kontext gesetzt werden und vor allem sollte abgelenkt werden von dem was die Akteure der Sexarbeit (Sexarbeiter*innen, Kunden und BordellbetreiberInnen) von ihrer Realität und ihren Forderungen vorzutragen haben.“

Zur kompletten Stellungnahme geht es über folgenden Link

Nachtrag, 07.12.2017: Auch der BesD hat mit einer offiziellen Stellungnahme nachgelegt. Darin distanziert sich der Verband deutlich gegen ihn selbst betreffende Falschaussagen sowie gegen tendenziöse Unterstellungen.  „Der BesD e.V. widerspricht diesen Behauptungen und verurteilt die unsachlichen Unterstellungen dieses Beitrags von Christian Stracke und der Produktionsfirma medi:cine GmbH. Wir sind empört über die Unseriosität einer solchen Sendung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt“, erklärt die AG Medien im BesD e.V.

Zur kompletten Stellungnahme geht es über folgenden Link

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