Werden Kinder in der Umgebung eines Bordells geschädigt?

Laut Deutschem Recht ist Prostitution in der Nähe einer Schule eine Straftatbestand

Im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd herrscht gerade Unmut. „Direkt gegenüber“ einer Grundschule in der Humboldstraße „beherbergt ein unscheinbarer Klinkerbau seit einigen Monaten ein Bordell“, schreibt bspw. das Portal abendblatt.de. Ein Bordell neben einer Schule? Dabei heißt es doch im Strafgesetzbuch, Paragraph 184f, „es macht sich strafbar, wer der Prostitution in der Nähe einer Schule oder einer anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Minderjährige bestimmt ist, oder in einem Haus, in dem Minderjährige wohnen, nachgeht und die Minderjährigen dadurch sittlich gefährdet.“

Weiterhin heißt es im Art. 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB): „Danach darf zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes verboten werden, der Prostitution nachzugehen.“

Die Empörung der Eltern ob dieses „unzumutbaren Missstandes“ ist also vollkommen nachvollziehbar … Aber ist es das wirklich?

Vielleicht sollte man die Sache erst einmal aus zwei anderen Blickwinkeln betrachten, bevor man zu urteilen beginnt.

1. Bordell gegenüber der Grundschule

Schon bei diesem Punkt weicht die Berichterstattung von abendblatt.de etwas von der Realität ab. Zum Einen schreibt die Zeitung, dass einzig die Klingelschilder auf die Etablissements in mehreren Appartements hinwiesen. Das macht doch aber deutlich, dass das Gebäude von außen nicht als Bordell erkennbar ist. Wo ist hier also das reelle Problem?. Zum zweiten: Die Schule befindet sich in der Humboldtstraße 30, das Etablissement hingegen in der Hausnummer 50, also auf der selben Straßenseite etwa 150 Meter entfernt. Von wegen direkt gegenüber. Ja, in unmittelbarer Nähe, aber definitiv nicht gegenüber. Außerdem ist in den Räumen in der Humboldtstraße 50 ein Thai-Massagestudio untergebracht und kein Bordell. Ein kleiner aber feiner Unterschied besteht da schon, zumindest offiziell. Und man darf ja erst einmal vom offiziellen Auftritt ausgehen, oder haben sich die empörten Eltern im Inneren bereits eines besseren belehren lassen?

Die Rechtslage bezüglich Prostitution in einem Wohngebiet ist klar und unmissverständlich. Der Jugendschutz im Besonderen steht dabei ganz vorne. Das soll hier auch nicht verneint werden. Aber: Hin und wieder muss man sich fragen, was eigentlich wirklich Gegenstand der Beschwerden ist? Eine eventuelle Jugendgefährdung oder das rückschrittige und sexualfeindliche Sittengebilde einiger Erwachsener?

Das Haus ist von außen nicht als Rotlichtbetrieb erkennbar, es befindet sich 150 Meter von der Grundschule entfernt. Inwieweit stellt es also eine Gefahr für die Kinder dar?

Angeblich sind ab und an „leicht bekleidete Damen, die in Begleitung von Männern in dem Haus ein- und ausgingen“ zu sehen. Aha. Also es darf doch bezweifelt werden, dass sich die Angestellten/Masseurinnen/Damen in Unterwäsche und in Begleitung von vermeintlichen Freiern vor die Tür begeben. Schon allein das Wort leichtbekleidet als synonym für Unmoral und Sittenwidrigkeit zu gebrauchen ist Humbug. Leicht bekleidet sind auch Männer und Frauen in der Fußgängerzone während des Hochsommers. Und wenn hier mal eine Frau mit kurzem Rock auftritt, dann stellt es wohl minder einen Kultur- und Sittlichkeitsschock für ein Grundschulkind dar, als für manch prüdes Elternteil. Zumal dem Kind ja ständig die Augen zugehalten werden müssten, wenn es an Unterwäschereklame und dergleichen vorbei läuft. Daneben wird es wohl garantiert keine sexuelle Assoziation bei diesem Kleidungsstil haben. Wie auch. Es sei denn, es wird ihm von Seiten der Erwachsenen in den Mund gelegt. Aber auch dann besteht so ein Urteil nur im Wortlaut und nicht aufgrund der eigenen Empfindung.

2. StGB: Minderjährige sittlich gefährden

Eigentlich muss man mal jenen oben zitierten Paragraphen des StGB wörtlich auseinanderklamüsern. Es ist also strafbar wenn man in der Nähe von Minderjährigen der Prostitution nachgeht und diese dadurch sittlich gefährdet. Sittlich gefährdet heißt es. Bedenkt man dass mit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes Sexarbeit als solche nicht mehr sittenwidrig ist, dann kann ich doch mit Prostitution allein ein Kind nicht mehr sittlich gefährden, oder?

Akkustisch sollte schon allein der Entfernung wegen nichts in die Klassenräume oder auf den Schulhof gelangen. Aus diesem Blickwinkel müssten die Beischlafgeräusche aus der Nachbarwohnung doch weitaus mehr den guten Sitten zuwider sein als das Stönen aus einem Massagesalon, einige Häuserblocks entfernt.

Im Sinne des Minderjährigenschutzes gibt es dann noch die Auflage, dass ein Bordellbetreiber hinreichende Schutzvorkehrungen gegen den Zutritt von Minderjährigen treffen muss. Ja und das sollte bei vorliegendem Fall doch klar geregelt sein!

Was also verunsichert die Kinder mehr: ein Haus unter vielen, aus dem ab und an mal eine „leichtbekleidete Dame“ heraustritt oder die in die Öffentlichkeit getragene Panikmache und Vorverurteilung von Seiten der Verwandten und Bekannten?

Vor was hat man in Barmbek-Süd Angst? Davor, dass Freier die Kinder ansprechen? Warum sollten sie. Davor, dass eine Frau in kurzem Rock einen schlechten Einfluss auf die Heranwachsenden ausüben könnte? Also bitte, dann dürften Kinder ja keinen Zugang zu modernen Medien bekommen. Vor undefinierbaren Geräuschen? Das Thema ist ja schon geklärt.

Was also stört? Einige wohl nur, dass Prostitution legal ist. Zumindest wird in diesem und in ähnlichen Fällen „Jugendgefährdung“ eher nur postuliert als überzeugend begründet.

rmv

Nachtrag/Korrektur (13.09.2013):

An dieser Stelle muss der Beitrag berichtigt werden. Um den Punkt, dass sich schräg gegenüber des Grundschulgeländes doch ein Gebäude mit Wohnungen, in denen Sexdienstleistungen angeboten werden, befindet. Es handelt sich um ein Eckhaus in der Heinrich-Hertz-Straße 120. Und eine mit Rollos verhangene Fensterfront ist tatsächlich zur Humboldstraße ausgerichtet.

In den letzten Wochen hätten sich laut Medienberichten die Proteste deutlich verschärft. Ob es zu einer Schließung kommen wird, ist bisher jedoch noch offen. Gut, entgegen meiner ursprünglichen Betrachtung befindet das „Ärgernis“ doch im direkten Umfeld jener Grundschule. Aber an dem Gedankenspiel ändert sich dennoch nicht allzu viel:

Der Hauseingang befindet sich nicht in direktem Sichtbereich der Schüler, wenn nicht explizit darauf hingewiesen, unterscheidet sich das Gebäude nicht von den anderen in der Nachbarschaft … Eine direkte Jugendgefährdung muss also erst einmal stichhaltig und sachlich nachgewiesen werden … Man muss sich schon fragen, ob der Aufschrei nicht künstlich aufgebauscht wird.

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